Dem Winde versprochen
die Hände in den Nacken und entfernte die Spangen, die ihren Haarkranz hielten.
»Schütteln Sie den Kopf«, verlangte Blackraven. »Ich will, dass es über Ihre Schultern fällt. Drehen Sie sich um. Los.«
Melody tat, was man ihr befahl, und spürte, wie Blackraven mit der Gerte durch ihr Haar fuhr.
»Was tun Sie denn da?«, protestierte sie, fasste das Haar und drehte es wieder zusammen.
Blackravens Mund verzog sich zu einem triumphierenden Lächeln.
»Sie waren es, die heute Morgen galoppierte, als sei der Teufel hinter Ihnen her. Rittlings und gekleidet wie ein Mann. Vor was oder wem waren Sie auf der Flucht?«
»Vor nichts. Vor was sollte ich denn fliehen? Ich bin ausgeritten, sonst nichts.«
»Ausgeritten? In Männerkleidung? Den Kopf unter einer Kapuze? Das bezweifle ich.«
»Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Ich habe den größten Teil des Tages auf dem Pferd zugebracht und meinem Vater bei der Arbeit auf dem Hof geholfen. Ein Rock wäre da hinderlich gewesen. Auch wenn sich das für Sie albern anhört, aber ich habe von klein auf Männerkleidung getragen.«
»Und Ihre Mutter hat das erlaubt?«
»Nein, natürlich nicht. Sie war sehr vornehm. Aber es war der Wille meines Vaters, dass ich lernte, den Hof zu führen. Meine Mutter konnte in diesem Punkt nicht widersprechen, und ich genoss die Freiheiten eines Jungen.«
Sie schwiegen. Die Anspannung nahm zu. Melody fühlte sich unwohl und beschloss, nichts mehr zu sagen. Blackraven hingegen wirkte völlig unbeeindruckt.
»Ich muss gestehen, Señorita Isaura, Sie sind ein unerschöpflicher Quell an Überraschungen.«
Melody wusste nicht, ob sie das als Kompliment oder als Hohn auffassen sollte. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich ins Haus zurückkehre«, sagte sie. »Víctor wird bald aufwachen.«
»Víctor wird heute Abend mit mir essen.« Melody nickte. »Und Sie auch.«
»Nein.«
»Warum nicht? Weil Sie sich niemals mit einem Engländer an einen Tisch setzen würden? Ist es das? Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so anfällig für Vorurteile sind.«
»Ich habe abgelehnt, weil ich nicht will, dass mein Bruder allein essen muss. Das ist alles.«
»Auch Ihr Bruder ist an meinem Tisch willkommen. Ich bedaure, dass meine Einladung Ihnen nicht genehm ist, aber jetzt haben Sie keine Ausrede mehr. Sie werden schon noch lernen, Señorita Isaura, dass immer das getan wird, was mir gefällt.« Dann wechselte er das Thema: »Sagen Sie mir, wo meine Sklavin ist. Ich werde sie noch heute holen lassen.«
»Sie wird nicht zu Valdez e Inclán zurückkehren?«
»Ich bin es nicht gewohnt, dass meine Befehle infrage gestellt werden.«
»Sie werden Miora nicht wiedersehen, wenn Sie nicht versprechen, sie von Alcides fernzuhalten.«
»Sie sind eine unverschämte Person!« An Blackraven gab es keine Spur mehr von der eben noch vorhandenen Liebenswürdigkeit. »Sagen Sie mir, wo sie ist!«
»Nein!«
Mit einer Hand packte er sie am Hals. Fuoco erschrak und lief zu den anderen Pferden. Melody wusste, dass Blackraven ihr
leicht das Genick brechen konnte, aber sie wollte keine Schwäche zeigen. Sie stand ruhig da, den Blick auf ihn gerichtet. Lediglich ihr Atem ging schneller, als sich der Druck auf ihre Kehle erhöhte.
Blackraven dachte: »Wie bei Sansón heute morgen: Sie hat Angst vor mir, aber sie stirbt lieber, als es mir zu zeigen.«
Sie hatte so viel zu verlieren und so wenig zu gewinnen. Mioras Wohlergehen, das war alles. Täglich wurden Hunderte von Sklavinnen in Buenos Aires vergewaltigt, und sie sorgte sich um so eine unbedeutende Kreatur. Niemand wagte es, ihm zu widersprechen, weder die Mächtigsten Englands noch der raueste Seemann auf seinem Schiff. Aber dieses Mädchen forderte ihn heraus, als habe es ein riesiges Heer hinter sich. Er konnte nicht anders, als sie zu bewundern.
»Warum sind Sie so?«, fragte er mit einer Wucht, die ihn selbst überraschte.
»Und warum«, hielt sie ihm entgegen, »ist es Ihnen egal, wenn eine Frau von einem miesen Schurken misshandelt wird?«
Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Wer war diese Isaura Maguire? Er wollte alles über sie wissen, mehr über ihre Vergangenheit erfahren.
»Ich verspreche Ihnen, der Sklavin wird nichts geschehen, solange sie in meinem Besitz ist. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.«
»Ich werde sie selbst holen. Morgen bringe ich sie hierher.«
»Gut.«
»Sie erlauben«, sagte sie und ging an ihm vorbei.
Kapitel 6
Am Abend stahl sich Servando von seiner Arbeit im Schlachthaus
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