Dem Winde versprochen
Richtung Fluss davon. Wenn Bustillo ihn erwischte, würde er ihn anketten oder ihm hundert Peitschenhiebe verpassen. Am Tag zuvor hätte er keinen Gedanken daran verschwendet, denn Miss Melody hätte nie zugelassen, dass ihm oder einem anderen Gewalt angetan wird. Aber seit der Ankunft des Herrn Roger war es vorbei mit dem angenehmen Leben. Unter den Sklaven gingen alle möglichen Gerüchte um, und die waren nicht gerade ermutigend.
Er verfluchte sein grausames Schicksal, das ihn aus dem Schoß seines Stammes gerissen und in dieses Sklavendasein katapultiert hatte. Ihn, der immer frei gewesen war wie der Wind. Manchmal, wenn er in seinem Land mit der Lanze in der Hand seine Beute verfolgt hatte, hatte er sich vorgestellt, dass seine Füße vom Boden abhoben und dass er flog. Er hatte das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Kein Tier entkam dem sicheren Stoß seiner Lanze. Unter seinen Stammesgenossen hatte er sich einen Namen als hervorragender Jäger gemacht. Die Frauen bewunderten und die Männer respektierten ihn, er war der Stolz des Stammes. Die Götter hatten ihre wahre Freude an ihm und überhäuften ihn mit Geschenken und ihrer Gnade.
Eines Tages jedoch ließen die Götter ihn im Stich. Es war der Tag, an dem er gerade im Fluss badete, nachdem er ein Gnu erlegt hatte. Plötzlich fiel ein Netz über ihn. Er kämpfte, versuchte sich zu befreien, doch vergebens. Die Gruppe Jäger, alle schwarz wie er, schlugen ihn zusammen, bis er das Bewusstsein verlor.
Als er wieder zu sich kam, befand er sich mit anderen Gefangenen auf einem Wagen. Er rief nach den Jägern. Es tauchte ein junger Schwarzer auf, bekleidet mit einem Rock aus luftigem, glänzendem Stoff, dem man ansah, dass er wertvoll war; das Stück Leopardenfell, das seine Taille zierte, unterstrich diesen Eindruck. Er war über und über mit Ringen und Armbändern behängt und trug eine prächtige, bis zum Bauchnabel reichende Kette aus weißen Kügelchen. Sein Name war Pangú. Servando erklärte, er sei der wichtigste Jäger seines Stammes, der König werde bestimmt ein gutes Lösegeld zahlen. Pangú lehnte das Angebot ab und sagte, die Handelsgesellschaft würde ihm viel mehr zahlen, als ein kleiner König zusammenkratzen könnte.
»Ein starker Mann wie du ist heutzutage viel wert. Du wirst die Reise ohne Probleme überstehen«, sagte er ihm voraus, und Servando verstand nicht, wovon er sprach.
Kurze Zeit später erfuhr er, dass Männer wie Pangú die Afrikaner fingen, um sie in den Häfen von Azamor, Agadir, Santo Tomé, Whydah oder irgendeiner anderen Stadt am Golf von Benin zu verkaufen.
Die Frauen und Kinder auf dem Karren weinten, und die Männer sahen verzweifelt aus. Die Fahrt bis zur Küste, wo sich die Handelsgesellschaften der Europäer mit ihren Lagern befanden, war ein Albtraum, aber das war erst ein Vorgeschmack auf das, was sie später erwartete. Servando fragte sich bis heute, wie er diese Tortur überstanden hatte.
Im Nachhinein fand Servando, dass der Durst die schlimmste Qual gewesen war, gefolgt von Hunger, Krankheiten, dem Gestank und der Enge, in dieser Reihenfolge. Sie lagen praktisch übereinander, gekrümmt wie ein Kind im Mutterleib, an Hals und Knöcheln zusammengekettet.
Einmal am Tag ging die Luke auf. Dann gab es Essen – so ungenießbar, dass sie sich schon nach dem Eintopf aus dem Lager zurücksehnten – und die Toten wurden herausgeholt und ins
Meer geworfen. Aber irgendwie erreichten sie ihr Ziel. Erst liefen sie San Felipe de Montevideo an, eine Woche später machten sie dann in der Ensenada de Barragán fest, vierzehn Meilen von Buenos Aires entfernt. Den Hafen von Buenos Aires konnten sie wegen der Sandbänke und der zu geringen Tiefe nicht direkt anlaufen.
Sie durften das Schiff nicht gleich verlassen. Tage vergingen, bis die Papiere vollständig waren und der Arzt der Gesundheitsbehörde sie untersucht und bescheinigt hatte, dass sie frei von Seuchen waren. Servando war überzeugt, dass sie alle möglichen Krankheiten einschleppten, und er fragte sich, ob die schnelle Abwicklung nicht mit der Übergabe eines prall gefüllten Geldbeutels zusammenhing.
Das Sklavenlager befand sich im Süden von Buenos Aires. Barfuß und halb nackt marschierten sie angekettet über schlammige Wege. Sie fielen zu Boden, einige tot, andere ohnmächtig. Die Toten ließ man an Ort und Stelle zurück, und die Ohnmächtigen lud man, nachdem man durch Schläge festgestellt hatte, dass sie nicht simulierten, auf einen Wagen. Ein paar Stunden
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