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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campus
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welchem Fall geschützt werden muss, erfordert natürlich ethische und politische Entscheidungen. Nicht jede Minderheit rechtfertigt den Schutz vor den Entscheidungen der Mehrheit. Im Gegenteil, die meisten Minderheiten sollten in den meisten Fällen überstimmt werden, denn andernfalls wäre der Mehrheitsentscheid sinnlos.
    Madison führt zwei Beispiele für Minderheiten an, die seiner Ansicht nach besonderen Schutz verdienen, und der Unterschied zwischen beiden verdeutlicht, worauf wir hinauswollen. Er fordert, die freie Religionsausübung von Minderheiten gegen die Herrschaft und den Zwang der Mehrheitsreligion zu schützen, und dem stimmen wir zu. In seinem Aufsatz verlangt er jedoch außerdem, die reiche Minderheit vor der armen Mehrheit zu schützen. Würde die kleine Gruppe der Landbesitzer und Gläubiger nicht unter besonderen Schutz gestellt, so Madison, dann würde sie von der Mehrheit der Besitzlosen und Schuldner überstimmt. Daher fürchtet er, die Regierung hätte keine Möglichkeit, der Mehrheit und ihren »Forderungen nach Papiergeld, Stundung der Schulden, gleicher Verteilung des Landes und anderen ungebührlichen und niederträchtigen Ansinnen« zu widerstehen. Zum Schutz gegen solche Entscheidungen fordert Madison »die Vertretung durch Abgeordnete, deren aufgeklärte Ansichten und tugendhafte Haltungen« denen der Mehrheit überlegen seien. Diese Politiker sollen das vertreten, was Rousseau »Gemeinwillen« nennt, und nicht den Willen aller.
    Doch reiche Landbesitzer und Gläubiger bedürfen keinen Schutz, der über das hinausgeht, was alle genießen. Ihr Reichtum verleiht ihnen bereits unverhältnismäßig große Macht über dieMehrheit. Warum sollte bei wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen das eine Prozent vor dem Willen der 99 Prozent geschützt werden? Es ist völlig abwegig, wenn Madison religiöse Minderheiten mit reichen, mächtigen Landbesitzern und Banken auf eine Stufe stellt.
    Aber wie können wir den Schutz von machtlosen Minderheiten gewährleisten, ohne die Entscheidungsgewalt an »aufgeklärte« und »tugendhafte« Volksvertreter zu übertragen, wie Madison dies verlangt? Zunächst sollten wir anerkennen, dass die sozialen Bewegungen von heute mit neuen Praktiken der Mehrheitsentscheidung experimentieren, die neue Formen des Minderheitenschutzes bedeuten. Die Bewegungen haben beispielsweise alternative Formen entwickelt, um den Willen der Mehrheit zu ermitteln. Bei verschiedenen Occupy-Protesten konnte man beobachten, wie Teilnehmer in Versammlungen von hundert bis zu fünftausend eine neue Gestensprache verwendeten, um wortlos ihre Zustimmung oder Ablehnung gegenüber dem Gesagten zum Ausdruck zu bringen. Auch Twitter wurde in den Versammlungen verwendet, um dynamisch die Befindlichkeiten der Teilnehmer zu ermitteln. Doch so wichtig diese Experimente und neuen Ausdrucksformen sein mögen, sind sie für uns noch nicht der entscheidende Punkt.
    Wichtiger sind die Organisationsformen der Demokratiebewegungen und vor allem ihre Einbeziehungen von Unterschieden. Horizontale, demokratische Versammlungen suchen keine Einstimmigkeit, sondern verwenden einen pluralen Prozess, der für Widersprüche und Konflikte offen ist. Die Entscheidungen der Mehrheit kommen unter Einbeziehung oder besser Verschmelzung der Unterschiede zustande. Die Versammlung muss also Möglichkeiten finden, um unterschiedliche Ansichtenund Wünsche so zusammenzuführen, dass sie in immer wechselnder Weise Mehrheiten bilden. Mit anderen Worten ist die Mehrheit keine homogene Gruppe und auch kein fester Block, sondern ein Konzert von Unterschieden. Minderheiten werden nicht geschützt, indem sie abgespalten, sondern indem sie in den Prozess eingebunden werden. Mit Hilfe dieser Struktur können wir den Gemeinwillen und die aufgeklärten Abgeordneten vergessen und eine demokratische Politik auf Grundlage des Willens aller schaffen.
    Diese dynamischen und heterogenen Mehrheiten revolutionieren auch die gängige Vorstellung der Toleranz. Einer verbreiteten Ansicht zufolge bedeutet Toleranz, Minderheiten zu isolieren und die Augen vor ihrem Anderssein zu verschließen. Wir tolerieren Homosexualität, indem wir so tun, als sei jemand nicht homosexuell. Oder indem wir zulassen, dass Angehörige von Minderheiten miteinander, aber getrennt vom Rest der Gesellschaft, leben. Eine Mehrheitsherrschaft macht es jedoch nicht erforderlich, Minderheiten durch Gleichgültigkeit oder Segregation zu schützen. Toleranz

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