Demolition
sie richtet sich nach unseren eigenen Maßstäben... nicht den mühsam zurechtgezimmerten Gesetzen, die ein paar furchtsame Menschlein für die restlichen furchtsamen Menschlein festlegen. Jeder hat seine eigene Ehre und Ehtik, und wer will auf ihn mit dem Finger zeigen, solange er sich daran hält? Jemandes Ethik mag Ihnen mißfallen, aber Sie haben kein Recht, sie sittenwidrig zu nennen.«
Powell schüttelte traurig den Kopf. »In Ihrer Brust wohnen zwei Seelen, Reich. Eine davon ist ein feiner Kerl. Eine ist schlecht. Wären Sie ganz und gar ein Mörder, man empfände es weniger schlimm. Aber Sie sind halb Schurke und halb Heiliger, und das macht Ihren Fall äußerst betrüblich.«
»Als Sie mir winkten, da wußte ich, daß die Sache noch hart wird.« Reich lächelte. »Sie sind raffiniert, Powell. Sie bereiten mir wirklich Sorge. Ich kann's Ihnen nie anmerken, wenn Sie sich einen neuen Schlag ausgedacht haben, und weiß nie, nach welcher Seite ich mich ducken soll.«
»Dann hören Sie um Gottes willen mit dem Wahnsinn auf und bringen Sie's hinter sich«, sagte Powell. Er sprach mit leidenschaftlicher Überzeugungskraft. Seine Augen funkelten. Seine Eindringlichkeit erfüllte Reich erneut mit Schrecken. »Ben, ich werde Sie mit dieser Sache zur Strecke bringen. Ich werde den dreckigen Mörder in Ihnen erwürgen, weil ich den Heiligen bewundere. Dies ist für Sie der Anfang vom Ende. Sie wissen es. Warum erleichtern Sie sich nicht alles und geben auf?«
Einen Moment lang schwankte Reich am Rande des Entschlusses, die Waffen zu strecken. Dann riß er sich zusammen, um sich der Auseinandersetzung zu stellen. »Und verzichte auf den bedeutsamsten Kampf meines Lebens? Nein. Das könnte ich nicht, und vergingen darüber tausend Jahre. Wir werden dies Ringen bis zum Ende durchstehen, Lincoln.« Mißmutig zuckte Powell die Achseln. Die beiden Männer erhoben sich. Unwillkürlich reichten sie sich die Hände in der vierfachen, überkreuzten Weise der endgültigen Abschiednahme. »Ich habe einen großartigen Freund in Ihnen verloren«, sagte Reich.
»Sie haben einen großen Mann in sich selbst verloren, Ben.«
»Feindschaft?«
»Feindschaft.«
Und das war der Beginn der Demolition.
7
Der Hauptkommissar einer Stadt mit siebzehneinhalb Millionen Einwohnern kann nicht an seinem Schreibtisch herumsitzen. Er beschäftigt sich nicht mit Datenträgern, Akten, Papierkram und Dienstwegen. Er hat statt dessen drei ESPer-Sekretäre, die wahre Gedächtniskünstler sind und sämtliche Einzelheiten, derer er zur Erledigung seiner Aufgaben bedarf, in ihren Köpfen herumtragen, die wahre Wunder des Erinnerungsvermögens vollbringen. Sie pflegten ihn durchs Polizeipräsidium zu begleiten wie ein dreibändiges Nachschlagewerk. So geschah es auch diesmal, als Powell durch das Präsidium an der Center Street eilte, um seine Hilfsmittel für das bevorstehende Ringen zusammenzusuchen, in Begleitung seines dreiköpfigen Überfallkommandos (vom Personal mit den Übernamen »Winker, »Blinker« und »Nicker« belegt). Er setzte Polizeipräsident Crabbe seinerseits die allgemeinen Grundzüge des Falles auseinander. »Uns fehlen Motiv, Methode und Gelegenheit, Herr Polizeipräsident. Wir sehen zwar eine mögliche Gelegenheit, aber mehr noch nicht. Sie kennen ja Vater Moses. Er besteht auf felsenfesten Indizien.«
»Wen kenne ich?« Crabbe wirkte verblüfft.
»Vater Moses.« Powell grinste,. »Das ist unser Spitzname für den Mosaic Multiplex Prosecution Computer. Man kann ja nicht immer die volle Bezeichnung verwenden, oder? Man würde sich die Zunge brechen.«
»Sie meinen diese verteufelte Rechenmaschine!« Crabbe schnob verächtlich.
»Ja, Sir. Ich bin nun soweit, daß ich alles daranzusetzen beabsichtige, um für Vater Moses die erforderlichen Beweise gegen Ben Reich und die Monarch zu sammeln. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen eine unumwundene Frage stellen. Sind Sie bereit, ebenfalls alles daranzusetzen?«
Crabbe, der alle ESPer verabscheute und haßte, verfärbte sich hinter seinem Ebenholztisch in seinem in Ebenholz und Silber gehaltenen Büro tomatenrot und erhob sich von seinem Ebenholzsessel. »Was soll das bedeuten, Powell?«
»Es erübrigt sich, an irgendwelche Hinterhältigkeiten zu denken, Sir. Ich frage damit lediglich, ob Sie in irgendeiner Hinsicht mit Reich und der Monarch verbunden sind. Wenn's hart auf hart geht, werden Sie dann in Verlegenheit geraten? Könnte es Reich möglich sein, bei Ihnen
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