Demonica - Ione, L: Demonica
gemacht?«
Warum ging eigentlich jeder automatisch davon aus, dass sie etwas mit ihm gemacht hätte? Vielleicht, weil es dieses Mal tatsächlich so war. »Das geht dich gar nichts an. Und jetzt raus. Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt: Ich will dich nie wiedersehen.«
»Ja, also, was das betrifft … « Gem räusperte sich. Schluckte ein paarmal. Erst da fielen Tayla ihre geschwollenen, blutunterlaufenen Augen auf. Gem musste die ganze Nacht lang wach gewesen sein. »Ich hab ihn getötet.«
»Was? Wen?«
»Unseren Erzeuger.« Gem ließ sich wieder auf den Sessel niedersinken, und ihr mitternachtsblauer Rock quietschte auf dem Lederkissen. Mickey – stets ein zuverlässiges emotionales Barometer – krabbelte von ihr herunter und unter die Couch. »Als ich sechzehn war. Er ist zu mir gekommen. Wir haben gekämpft. Ich hab ihn erstochen. Schön war es nicht.«
»Jesses«, flüsterte Tay. »Warum hast du mir das denn nicht schon gestern erzählt?«
»Du bist ausgeflippt, ehe ich die Chance dazu hatte.« Sie spähte mit feuchten Augen zu Tayla auf. »Und ich denke, irgendwie wollte ich dir auch wehtun.«
»Mir wehtun? Wieso?«
»Ich war eifersüchtig. Darauf, wie du aufgewachsen bist. Und weil alles an dir mir immer nur ins Gesicht schrie ›Teresa war meine Mom und nicht deine‹. Du hast sie gekannt. Du hast Sachen mit ihr unternommen.« Gem ließ den Kopf hängen und spielte mit einem ihrer Zöpfe. »Alles, was ich habe, sind ein paar unscharfe Fotos aus kilometerweitem Abstand und eine verblassende Erinnerung daran, wie ihre Stimme klang.«
»Gem, so gut hab ich sie gar nicht gekannt. Sie wurde getötet, gerade als wir anfingen, eine Beziehung aufzubauen.«
»Trotzdem … du hattest ein Leben, das ich nicht hatte.«
»Ja klar. Du hattest alles.«
»Außer einer Mom«, sagte sie still.
»Aber du hattest – «
»Dämoneneltern, die ständig von mir enttäuscht waren.« Sie seufzte. »Versteh mich nicht falsch. Ich liebe sie. Und sie lieben mich, auf ihre Art. Aber ich konnte nicht alles sein, was sie von mir erwarteten. Ich wollte ja nicht mal Ärztin werden. Ich hab’s für sie gemacht. Du bist in einer Welt aufgewachsen. Sie war vielleicht beschissen, aber es war eine Welt. Ich war das Produkt zweier Welten, und das kann ich einfach nie vergessen. Selbst heute noch kann ich den Menschen nicht sagen, was ich bin, und den Dämonen kann ich nicht sagen, dass ich halb Mensch bin. Nur du und die Achse des Bösen kennen die Wahrheit.« Als Tay eine Augenbraue hob, fügte sie erklärend hinzu: »Eidolon, Wraith und Shade. So nenne ich sie schon seit Jahren, vor allem, weil sie sich immer wieder darüber ärgern.«
Tayla musste lachen; eine willkommene Befreiung. »Du bist wirklich meine Schwester.«
Gem zog an ihrer dicken Flechte. »Dann ist also alles okay? Zwischen dir und mir?«
Tayla hörte auf ihre Intuition, die ihr sagte, dass sie ihrer Schwester einen Platz in ihrem Leben einräumen sollte, und nickte. »Ja, alles okay.«
Aber was jetzt? Sie war bereit, Gem zu akzeptieren, aber das war die Gem, die sie jetzt vor sich sah, die, die menschlich zu sein schien. Was lauerte unter dem hübschen, gepiercten Äußeren? »Kann ich dich um einen Gefallen bitten? Darf ich sehen, was du hinter all diesen Tattoos verborgen hältst?«
Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde Gem ablehnen, aber dann nickte sie, langsam, traurig. »Ich schätze, das musst du wohl tun.« Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Tief aus ihrer Brust stieg ein Stöhnen empor. Ihr ganzer Körper begann zu vibrieren, und dann … explodierte sie einfach. Wie ein Maiskorn in der Pfanne. Eben noch war sie ein niedliches Gothic-Mädchen, und in der nächsten Sekunde …
Heilige Muttergottes.
»Was sagst du? Das ist meine andere Seite.«
Gem hatte nicht Englisch gesprochen, aber Tay verstand sie. Obwohl ihre Knie nachzugeben drohten, zwang sie sich, näher an die Bestie vor ihr heranzugehen – einer seltsamen Mischung aus Mensch und Seelenschänder; eine grauenhafte, wunderschöne Kreatur mit roter Haut, schwarzen Klauen und Gems Augen.
»Ich muss mich zurückverwandeln«, sagte Gem. »Mit jeder Sekunde in dieser Gestalt schwinden meine menschlichen Instinkte.«
Die Vibration setzte erneut ein. Tayla zuckte zurück und dann stand Gem wieder dort, schweißüberströmt. »Mann, das brennt vielleicht.«
Immer noch ein wenig zittrig ging Tayla einmal um die andere Frau herum, untersuchte sie auf … ja auf
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