Demonica - Ione, L: Demonica
konnte er Shade fühlen, und sein Bruder befand sich in unmittelbarer Nähe.
Es musste sich um eine Art Höhle handeln, aber er konnte den Eingang nicht finden. Es musste doch noch irgendeinen anderen Weg geben.
Er sah zu dem Wasserstrom hinauf, der über glänzend schwarze Felsen hinwegfloss. Hinter dem Schleier aus Wassernebel deuteten schattige Nischen auf eine Art Höhle hin.
Er begann zu klettern. Die Felsen waren glitschig und rau, aber es war ihm völlig egal, dass er sich die Hände aufriss, auch seine Jeans und das echt coole Hard-Rock Café-Bukarest-T-Shirt. Jedenfalls fast völlig egal. Mit dem T-Shirt, das ihm eine rumänische Kellnerin, ein Halbblut, geschenkt hatte, verband er ein paar ziemlich heiße Erinnerungen.
Nach knapp zwanzig Metern war er nass bis auf die Haut, hätte beinahe den Halt verloren und wäre gestürzt, wenn er sich nicht in letzter Sekunde an einer dornigen Ranke festgehalten hätte, die höllisch wehtat. Mit zusammengebissenen Zähnen löste er die Handfläche davon und kletterte hinter den Wasserfall.
Gefunden!
Ungefähr drei Meter von ihm entfernt sah er einen flachen, breiten Sockel, der sich tief in den Fels hineinzuziehen schien. Vorsichtig kletterte er dorthin und zog sich hinauf. Das Problem daran war, es durch die unglaubliche Wucht des Wasserfalls hindurch zu schaffen, ohne in den Teich oder auf die Felsen darunter geschleudert zu werden. Endlich schaffte er es. Eine Sekunde lang legte er sich auf dem glatten Stein auf den Rücken, um wieder zu Atem zu kommen, aber Shades Todesqualen, die sich wie Eispickel in seiner Brust anfühlten, zwangen ihn bald wieder auf die Füße.
Er drang tiefer in den gewölbten Tunnel ein, dessen Wände sauber und glatt waren, definitiv nicht natürlichen Ursprungs. Und da lag ein Handtuch über einem Felsvorsprung, als ob jemand den Wasserfall als Dusche benutzt hätte. Während sich seine Sehkraft der Dunkelheit immer besser anpasste, vernahm er Schluchzen.
Oh, Scheiße!
Panisch tastete Wraith die Höhlenwände ab, um einen Weg hineinzufinden, und als es ihm endlich gelang, wäre er in seiner Eile beinahe über die eigenen Füße gestolpert. Als er in eine seltsam moderne Küche geriet, fiel ihm kurz auf, wie absonderlich das alles war, doch die Laute des Leidens belegten sogleich wieder all seine Sinne mit Beschlag. Er konnte nur noch daran denken, schleunigst zu seinem Bruder zu kommen.
Er stolperte durch die Küche, wobei er einen Salzstreuer vom Tisch fegte. »Shade !« Dann rannte er zu schnell um eine Ecke und prallte mit der Schulter gegen eine Türöffnung.
Und dann erstarrte er, jeder Muskel wie schockgefroren. Sein Herz blieb stehen. Seine Lungen schienen mit Zement gefüllt zu sein.
Shade stand in einer Art Folterkammer, eine Geißel in der Hand, während Runa verzweifelt versuchte, sich von den Fesseln um ihre Handgelenke zu befreien. Sie schluchzte und flehte Shade an, die Waffe fallen zu lassen.
Wraith spürte, wie ihn beißende Kälte überkam. Er schwankte. Gleich darauf verschwand sie wieder, so schnell, wie sie gekommen war, und hinterließ nichts als heiße, sengende Wut.
Wraith stürzte sich auf seinen Bruder und warf ihn zu Boden, schlug auf ihn ein, bis er endlich bemerkte, dass sich Shade gar nicht wehrte.
»Was zum Teufel hast du da gemacht ?« , brüllte er, aber Shade starrte ihn nur mit glasigen, flackernden Augen an. Übelkeit rumorte in Wraiths Magen. So wie dieser Kerker aussah, hatte Shade hier schon wer weiß wie vielen Frauen wer weiß was angetan. Und er hatte sich selbst verletzt? Wieso?
»Bringst du sie um ?« , flüsterte er. »Shade, folterst du sie und bringst sie dann um ?« Sein Atem ging stoßweise, seine Lungen brannten. Die Erinnerungen an seine eigene Folter durch Vampire spielte sich in Übelkeit erregendem Zeitraffertempo in seinem Gehirn ab.
»Nein « , entgegnete Shade mit großen Augen. »Nein, niemals. Bei den Göttern, Wraith! Wie konntest du so was nur denken ?« Er blickte zu Runa. »Ich muss sie losmachen – «
»Du rührst sie nicht an !« Mit einem einzigen, unerwarteten Schlag schlug Wraith Shade bewusstlos.
Der penetrante Geruch von Blut lag schwer in der Luft. Als Vampir empfand er den Geruch als verlockend, verführerisch, obwohl seine nichtvampirische Seite gleichzeitig von der Art, wie es vergossen worden war, angewidert war. Als er zu Runa ging, zitterte er so heftig wie schon seit … tja, er konnte sich gar nicht erinnern, wann er sich je so grauenvoll
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