Demonica: Versuchung der Nacht (German Edition)
Schritt zurück und zog Stryke enger an sich, als ob Shade eine Gefahr für seinen eigenen Sohn darstellte. »Du wirst doch nicht glauben, dass er irgendetwas mit den Verletzungen deiner Gefährtin oder dem Verschwinden deines Sohns zu tun hat.«
»Wo. Ist. Er?«
»Hör mir gut zu – «
» Wo? «
»Er wird in diesem Augenblick gefoltert, okay?« Sie sah ihm in die Augen, trotzig und direkt. »Er kann es gar nicht getan haben, weil er gerade gefoltert wird.«
»Hast du es selbst gesehen?«
»Nein, aber er hätte so etwas nie getan«, fuhr sie ihn an. »Und auf gar keinen Fall hätte er den Dolch dagelassen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil ich ihn ihm geschenkt habe. Er hätte ihn niemals freiwillig hergegeben. Niemals.«
Shade war der sentimentale Wert des Dolchs scheißegal, genauso wie ihm in diesem Moment scheißegal war, was Sin über ihren Bruder zu wissen glaubte. »Geh zu ihm«, knurrte Shade. »Geh zu ihm und sag ihm, ich will ihn sehen. Sofort.«
Sin übergab ihm Stryke. »Das werde ich. Und ich erwarte von dir, dass du vor ihm kriechst und um Verzeihung bittest, wenn ich dir beweise, dass du dich irrst.« Sie warf Wraith noch einen Blick zu, als hätte sie ihm etwas zu sagen, aber nach einem kurzen Kopfschütteln machte sie sich auf den Weg und verschwand im Höllentor.
Sobald sie verschwunden war, drückte Shade Stryke an sich und fuhr zu E herum. Sein Gesicht war leichenblass, der Blick gequält.
»Das ist alles deine Schuld«, fauchte er. »Du verdammtes Arschloch. Dieser Mistkerl hätte Runa um ein Haar umgebracht, und er hat meinen Sohn, weil du dich geweigert hast, zu tun, was nötig war.« Shades Hände zitterten, so sehr sehnte er sich danach, zuzuschlagen, doch stattdessen packte er seinen Sohn noch fester. »Wenn ich dich nicht bräuchte, damit du dich um Runa kümmerst, würde ich dich auf der Stelle in Stücke reißen.«
»Reiß dich zusammen, Shade«, sagte Tayla. Ihre Stimme war leise und ruhig, um den Babys keine Angst einzujagen, aber die darin enthaltene Warnung war deutlich. »Ehe du noch etwas sagst, was du später bereust.«
»Es gibt eine ganze Menge Dinge, die ich bereue«, sagte er, ohne den Blick von Eidolon abzuwenden, »aber vertrau mir: Nichts von dem, was ich hier und jetzt sage, wird dazugehören.« Er wandte sich Wraith zu, der aussah, als wäre sein eigenes Kind entführt worden. »Ich kann Runa und die Babys nicht allein lassen, und von Sin kann ich wohl höchstens erwarten, dass sie Lore warnt. Finde ihn, Wraith. Finde ihn, töte ihn und bring mir meinen Sohn zurück.«
19
Sin rannte durch die engen Gänge des Schlupfwinkels, sodass ihre Waffen gegen Hüfte, Brüste und Rücken schlugen. Sie musste Lore finden. Musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass er nicht dafür verantwortlich war, was Runa und dem Baby widerfahren war.
Nicht, dass sie irgendwelche Zweifel hatte. Lore würde niemals einem Kind etwas antun. Es war schon vorgekommen, dass er den Auftrag oder Befehl erhalten hatte, ein Kind zu töten, und stets hatte er sich geweigert … eine Handlungsweise, die ihm Tage blutigen Leidens unter Deths Spezialfolterknechten eingebracht hatte. Unter denen, die man Schäler nannte.
Sin erschauerte und verfluchte im Stillen Deth und seine unheiligen Lakaien.
Aber was, wenn Lore das Kind nur als Druckmittel mitgenommen hatte, ohne die Absicht, ihm etwas anzutun – nur um Shade so viel Angst einzujagen, dass er ihm Kynan auslieferte? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er skrupellos genug sein könnte, Runa eine solche Verletzung zuzufügen, und ganz sicher wäre er niemals schlampig genug, um seinen Dolch am Tatort zu hinterlassen, aber …
O Gott.
Ihr Lauf verwandelte sich in unkontrollierte, wilde Raserei. Wie von Sinnen sprintete sie durch den Schlupfwinkel, prallte immer wieder gegen Wände und rannte Sunil um, einen Tigergestaltwandler von außergewöhnlich sanftmütiger Wesensart. Er sandte ihr nicht einmal einen Fluch hinterher, nachdem sie ihn umgerannt hatte, ganz im Gegensatz zu Lycus. Der Warg hatte sie schon immer verachtet, und sein Schwur, sich zu rächen, hing drohend in der eisigen Luft, als sie weiterrannte.
Vor ihr öffnete sich die Tür zu Deths Kammer, und im blass orangefarbenen Licht, das aus der Öffnung strömte, warf eine dunkle Gestalt einen langen Schatten. In schwarze Gewänder gehüllt, schritt er den Gang entlang, von Sin fort, aber nicht, ehe sie gesehen hatte, dass sich etwas in seinen Händen drehte und
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