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Demudis

Demudis

Titel: Demudis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
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glauben, dass ich un-missverständlich daran festhalte, die Minne könne ihre Kräfte nicht bei einem Ehepaar entfalten, weil das, was es sich gegenseitig gewährt, nicht mehr freiwillig ist?
    Erfülle mir, o mein Herr, noch diese letzte Bitte, dir ins Gedächtnis zu rufen, dass du mich nur darum besitzen konntest, weil ich dem drohenden Kerker der Ehe mich durch Flucht entzogen habe.
    Wenn du mich nach diesen offenen und zugegebenermaßen für deine Magd ungehörigen Worten nicht mehr wiedersehen wolltest, würde es mir die Eingeweide aus dem Leibe reißen, aber ich könnte es verstehen, mehr noch als wenn du mich, was ich mit allen Fasern meines Leibes herbeisehne, triffst, wo wir Himmel und Hölle zugleich zu finden pflegten und auch, so es deinem süßen Willen entspricht, weiter finden werden. Das wäre mehr wert, als wenn wir unsere Liebe verlören, um unsere Qualen durch eine Eheschließung zu beenden – sei versichert, dass ich unter den Bußen, die mir mein Beichtvater für die Sühnung meiner Schuld vor Gott auferlegt, nicht weniger leide als du, weil du meine Abwesenheit nicht erträgst.
    Nun entscheide also, wie immer du dich entscheiden musst, und teile mir mit, wie immer deine Antwort ausfallen mag.
     
    Gegeben durch Schwester Guta vom Beginenkonvent der Bela Crieg in der Stolkgasse zu Köln, am 25.3.1299
     
    *
     
    Köln, Predigerkirche, am Nachmittag des 3.2.1323
     
    Johannes Eckhart, den seine Predigerbrüder »Meister« und seine Schwestern »Hechard« nannten, spürte, dass die Begine zitterte. Dabei sah er nicht einmal ihren Mund. Sie hielt ihn ein wenig von der Öffnung im Beichtstuhl entfernt, so als fürchte sie eine zu große Nähe. Aber es war ihm, als versetze das Weib das Holz ganz leicht in Schwingungen. Trotz seines hohen Alters ließ ihn das nicht kalt. Nie ließ es ihn kalt. Er hatte Mitleid mit der Seele, noch bevor sie zu sprechen begann. Er erbat sich die Kraft vom Herrn, ihr helfen zu können, ganz gleich, was es für Vergehen sein mochten, die eine derartige Erregung in ihr auslösten.
    »Meine Tochter, wer bist du?«, fragte er und versuchte seiner Stimme einen besänftigenden Ton zu verleihen.
    Stille. Keine Antwort. Nur ein kaum vernehmbares Geräusch wie ein stark unterdrücktes Räuspern.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie nach einer geraumen Weile.
    Das hatte er nicht erwartet. »Warum weißt du es nicht?«
    »Weil ich weder Mädchen bin noch Weib, ehrwürdiger Vater, weder Mann noch Magd noch Frau«, erklärte die Begine.
    »Deine Worte klingen wundersam in meinem alten Ohr, liebe Tochter«, sagte Eckhart angerührt. »Erkläre mir genauer, was du meinst.«
    »Wäre ich ein Mädchen … würde ich noch unschuldig sein. Wäre ich ein Weib … würde ich Gott in meiner Seele gebären. Wäre ich ein Mann … könnte ich allen Sünden widerstehen. Wäre ich eine Magd … so würde ich meinem Herrn ohne Widerrede dienen. Wäre ich aber … eine Frau, so würde ich …« Sie unterbrach ihre eh schon stockende Rede und setzte dann aufs Neue an. »Vater, mir ist so weh ums Herz … und … ich möchte nicht, dass Ihr Euch wider mich … mich erschreckt … da es noch nie zuvor an Euer heiliges Ohr gedrungen ist«, fuhr sie zögernd mit bebender Stimme fort. Die dazugehörige unsichtbare Person mochte, schätzte Eckhart, der ein erfahrener Beichtvater war, nicht mehr jung sein, jedoch gute zwanzig Jahre jünger als er selbst.
    Eckhart fühlte, wie ihn das Licht durchströmte und er sie so nicht weitersprechen lassen konnte. »Schwester«, sagte er mit seiner tiefen, etwas schleppenden Stimme, »wenn es dir gestattet ist, deinen Herrn als ›Bruder‹ anzureden, sollst du es dergestalt auch mit mir halten, der ich nicht weniger ein Sünder bin, als du es bist, und nur durch die überfließende Gnade des Herrn dazu auserkoren, Ihm mein Ohr zu leihen.«
    Da er dies gesagt hatte, war ihm, als pulsiere all sein Leben in seinem Ohr, das zu glühen begann. Er fühlte sich, als sei sein Geist aus dem Körper getreten und könne sich dergestalt selbst auf dem harten Beichtstuhl sitzen sehen, wie er reglos zwischen den aus dunklem Holz gedrechselten Säulen mit den wachsamen Engeln eingeklemmt war. Aber er konnte weder mit seinen anderen Sinnen empfinden, noch verfügte er eine Erinnerung an irgendetwas in seinem Leben. So wähnte er sich in der Lage, vollkommen von sich abzusehen. Er wusste nun, dass er bereit war.
    »… wäre Schwester Guta, wie man mich nämlich heißt, eine Frau,

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