Demudis
sanft über den Ellbogen. »Tut es weh, wo du draufgefallen bist?«
Sie ist so gut zu mir, dachte Wilhelm. Gepa trug ein gelbes Tuch um den Kopf, so locker jedoch, dass ihre dicken braunen Haare überall herauslugten. Ihr Gesicht war weiß und fast ebenmäßig. Doch die Härte des Le bens zeichnete sich scharf in ihre Züge ein. Die Lippen waren jetzt blau, aber Wilhelm wusste, wie rot sie im Sommer waren. Er mochte das Funkeln in ihren dunklen, unergründlichen Augen. Der Kälte wegen hatte sie viele löchrige Kleider übereinander gezogen; soweit er es erkennen konnte, keines in einer anderen Farbe als Gelb, wie es ihr Stand nach dem weisen Ratschluss der Stadtväter gebot. Der viele Stoff machte ihre Formen fließender, und man konnte kaum erahnen, dass ein kräftiges, fast kantiges Weibsbild darunter verborgen war. Wilhelm erinnerte sich gut an das feste Fleisch ihrer Hüften. Verborgen. So sollte es auch bleiben, heute. Bald werde ich Magister der Theologie, frohlockte Wilhelm. Was habe ich bloß dieserorts zu schaffen? Muss Gott nicht einen solchen Heuchler wie mich bestrafen? Wenn er es aber nicht tut … na, dann ist er halt selbst schuld. Sagte der Meister Eckhart nicht immer wieder, es komme nicht auf die äußeren Werke an, sondern auf die inneren? Und dass sich im Bösen Gottes Herrlichkeit ebenso zeige wie im Guten?
»Bei den Barfüßern in Aachen«, setzte Wilhelm seinen Gedanken nun laut fort, »wo ich als Waise aufgewachsen bin, habe ich hungern müssen um des Herrn willen. Als sich der elfte Finger aufzurichten begann und manchmal des Nachts … du weißt schon, was tat …«, Gepa nickte, und Wilhelm nahm es als Zeichen, dass er das Peinliche nicht auszusprechen musste, »habe ich
Schläge bekommen … wurde hierher geschickt, weil ich einen starken Geist habe … doch mein Fleisch ist schwach … hier ist es umgekehrt, ist es umgekehrt, hier bekomme ich Schläge … von meinem Freund, umgekehrt, wenn ich …« Wilhelms Rede löste sich ins Unverständliche auf. Alles drehte sich in seinem Kopf.
Wie von weiter Ferne hörte er nach einer Weile, in der er völlig weggetreten gewesen zu sein schien, dass Gepa fragte: »Was sollte ich anstatt dessen tun?«
Wahrscheinlich hat sie mir die Geschichte ihres Lebens und Leidens erzählt, dachte Wilhelm, aber ich habe sie nicht mitbekommen. Was soll ich jetzt tun?
»Hast du schon mal daran gedacht, dich den Beginen anzuschließen?«, fragte er und hoffte, dass sie das als Antwort auf das nehmen konnte, was sie gesagt hatte.
Wilhelm sah, wie sich Zornesröte auf Gepas Gesicht ausbreitete. Wie hübsch sie doch ist!, dachte er.
»Dafür muss man im vierzigsten Jahr stehen«, schnaubte sie.
Ja, Wilhelm entsann sich der neuerlichen Verfügung des garstigen Herrn Erzbischofs: Nur Weiber, die mehr als vierzig Lenze zählten, sollten sich den Laienschwestern anschließen dürfen, die ein armes und keusches Leben im Dienst des Herrn führten, vornehmlich Witwen. Der ehrwürdige Vater wird schon seine guten Gründe dafür haben. Ehrwürdiger Vater? Erzbischof Heinrich? Morgen? Gute Figur machen? Ich muss geträumt haben. Das konnte er noch denken. Weiteres nicht.
*
Köln, Beginenkonvent der Bela Crieg,
am Abend des 29.1.1327
Demudis versuchte gerade, sich dem süßen Schlummer hinzugeben, als sie merkte, dass Schwester Godelivis neben ihr unter der Decke zitterte. In den vier Betten des Gemaches lagen immer drei Schwestern beieinander, aber es änderte sich oft, welche bei welcher. Nächst Schwester Godelivis schnarchte Schwester Mentha, die Älteste von ihnen. Es war Demudis, als wolle Schwester Mentha alle Bäume Kölns gleichsam eigennäsig absägen.
»Gütiger Gott«, sagte Demudis, »du wirst mir doch nicht krank werden!«
Fürsorglich rückte sie näher an die zitternde Godelivis heran. Sie war nicht kalt, aber hatte auch keine überschüssige Hitze. Schwester Godelivis war eine Magd, die noch nie einen Mann erkannt hatte, eigentlich viel zu jung für die Beginen, jedenfalls laut Verfügung des ehrwürdigen Vaters und Herrn Erzbischofs. Eigentlich. Aber es gab immer einen Weg, wenn man nur wollte. Die Eltern von Schwester Godelivis waren mit ihrer eigensinnigen Tochter nicht zurechtgekommen und wollten sie in ein Kloster geben. Da hatte sie sich verweigert, bis sie nach vielem Hin und Her einwilligte, sich den Beginen anzuschließen. Ihre Eltern mussten dafür nicht nur dem Konvent eine angemessene Stiftung machen, sondern auch den
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