Demudis
einzige Sünde, die er sich erlaubte, war es, soweit Hanß wusste, seinem ungeheuren Hunger nachzugeben.
»Ich brauche dein Ohr für eine Kerzenlänge«, sagte Bruder Dirolf keuchend.
Hanß nickte. Es würde wohl nichts werden aus der beschaulichen Einsamkeit vor dem Schlafen. Für morgen hatte ihn der ehrwürdige Vater und Herr Erzbischof Heinrich einbestellt. Da musste er ausgeschlafen sein, denn ihm schwante nichts Gutes. Zwar war ihm der Grund der Unterredung nicht mitgeteilt worden, aber Hanß hatte gehört, dass Erzbischof Heinrich sich wieder mit dem Vorhaben trug, gegen diejenigen das Schwert zu erheben, die er der Ketzerei zieh – Bettelorden, Barfüßer, Prediger, Begarden, Beginen, Brüder und Schwestern des freien Geistes, den berühmten Meister Eckhart: Alle wurden in einen Topf geworfen, ohne einen Unterschied zu machen! Es war Hanß zuwider, sich mit diesen eines Christen unwürdigen Händeln der Welt herumzuplagen, bei denen die Glaubensdinge nur zum Vorwand im gotteslästerlichen Ringen um Macht und Geld dienten.
Bruder Dirolf war rücksichtsvoll genug, um auf dem Weg über den verschneiten Kreuzgang und den vereisten Vorhof ins Abthaus nichts zu sagen. Sie mussten vorsichtig auf ihre Schritte in der Dämmerung Acht geben, um nicht auszugleiten. Im Abthaus angelangt, holte Hanß einen Krug Wein und entzündete eine Kerze. Er setzte sich, und Bruder Dirolf ließ sich neben ihm schwer auf den Stuhl fallen. Hanß befürchtete schon, der Stuhl würde auseinander brechen unter dem Gewicht des Bruders, aber er knarrte nur, wenn auch bedenklich, und hielt Stand.
Bruder Dirolf wischte sich mit der Hand den Schweiß aus dem Gesicht und stöhnte. Wie kann er trotz der Kälte derart schwitzen?, dachte Hanß flüchtig.
»Es geht um diesen Prediger, Johannes Eckhart, den sie den Meister nennen; die Weiber rufen ihn Hechard«, begann Bruder Dirolf düster. Seine Stirn zeigte tiefe, speckige Sorgenfalten. »Er lehrt Dinge, die gegen den Glauben gehen.«
»So, so«, knurrte Hanß, um etwas zu sagen. Das war kein Gesprächsstoff, den er liebte. Es reichte, wenn der Erzbischof ihn nötigen würde, sich damit zu befassen.
»Er sagt zum Beispiel, die äußeren Werke wie die der Keuschheit seien nichts wert, denn es käme vielmehr bloß auf den Willen an, den guten Willen. Und dann, wenn man mit gutem Willen handele, wäre, gleich was man täte, die Übereinstimmung mit dem Willen des Herrn bereits gegeben«, fuhr Bruder Dirolf fort, ohne sich durch Hanß’ abweisende Art abschrecken zu lassen.
»Das wird den Weibern, den Beginen, nicht gefallen, die sich so in der Zucht ihrer Körper üben«, sagte Hanß und lachte Bruder Dirolf an. Vielleicht ließ sich die Angelegenheit ins Närrische ziehen und auf diese Weise abtun und übergehen. Denn jeder wusste doch, dass das, was man von den Beginen erwartete, von ihnen bloß überaus selten auch eingelöst wurde.
»Und doch lieben sie ihn über alles«, sagte Bruder Dirolf abschätzig.
»Wir haben mit derlei nichts zu tun«, beschied ihn Hanß. Er musste also doch noch deutlicher werden! »Wir folgen dem heiligen Franz in seiner Einfachheit, Demut und Armut und tun damit unserer Christenpflicht genüge.«
»Ich weiß, dass du so darüber denkst.« Bruder Dirolf wurde hitziger. Hanß meinte, einen anklagenden Unterton zu vernehmen. »Aber vielleicht sind die Unterschiede zwischen den Beginen und Eckhart geringer, als du wahrhaben willst. Was dieser Eckhart lehrt, hört sich gefährlich nach dem an, was auch die ketzerischen ›Brüder und Schwestern des freien Geistes‹ gesagt haben. Und was ist aus der einen geworden, die du vor dem gerechten Zorn des ehrwürdigen Vaters und Herrn Erzbischof Heinrichs gerettet hast? Eine Hure!«
»Die Wege des Herrn sind unerforschlich«, wich Hanß müde aus. »Er verlangt von uns, jedem Sünder, auch dem verderbtesten, die Möglichkeit offen zu halten, sich aus eigenem Willen zu Ihm zu bekehren. Denke an den heiligen Augustinus, der es uns in seinen Bekenntnissen überliefert hat, welch sündiges Leben er geführt hat …« Leise fügte Hanß hinzu: »Und an mich.«
»Doch kann es nicht geduldet werden, dass Derartiges auch noch gepredigt wird und damit die zarten Gemüter der Leute, die sich wie Schilfrohr im Winde biegen, ins Verderben gestoßen werden«, ereiferte sich Bruder Dirolf. Sein Mund zuckte, und von der Stirn tropfte eine Schweißperle auf den Tisch. »Das darf nicht geduldet werden! Die Kirche muss dem Einhalt
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