Demudis
8.2.1327
Zum Abschied hatte Erzbischof Matthias sich erniedrigt, Bruder Dudo und Hanß die Füße zu waschen zum Zeichen seiner Unterwürfigkeit, wie der Herr es vorgelebt hatte. Hanß war eine solche Ehre noch nie widerfahren, und er war entschlossen, sich ihrer würdig zu erweisen.
Als sie wieder durch den Schnee stapften und Mainz lange hinter sich gelassen hatten, fragte Bruder Dudo:
»Was wird uns wohl in Köln erwarten, Bruder Hanß?«
Bruder Dudo hatte den wunden Punkt berührt, und Hanß stöhnte schmerzhaft auf. Er sagte nichts. Doch diesmal ließ Bruder Dudo nicht locker.
»Du hast Bruder Dirolf die Leitung in deiner Abwesenheit übertragen. Das wird ins Auge gehen. Er wird nicht nach deinem Willen verfahren.«
Hatte ihn Bruder Dudo wahrhaftig getadelt? Wenn ich doch nur selbst wüsste, was mein Wille ist! »Er wird nach seinem Willen verfahren, und das ist recht so«, knurrte Hanß. Bruder Dirolf gehörte zu den Barfüßern, die die Prediger bis aufs Blut hassten wegen deren Hang zur heidnischen Philosophie. Aber abgesehen davon war er ein guter Mann, beliebt bei den Brüdern und voller gnadewaltender Milde. Warum lassen wir uns trennen durch die teuflische Weltlichkeit, dachte Hanß, wo wir so innig verbunden uns wissen im Dienst am Herrn?
»Mich deucht«, überlegte Bruder Dudo weiter, »dass wir, die einfachen Mönche, die frommen Weiber, die fleißigen Handwerker, das gemeine Volk, zum Spielball der Oberen werden. Sie treiben die Bälle hin und her, und wohin wir uns auch immer wenden, wem auch immer wir Folge leisten, immer landen wir auf der falschen Seite und werden geschlagen. Auf ein Neues! Hui, fliegen die Fetzen und rollen unsere Köpfe.«
Hanß blieb stehen und keuchte. »Du sprichst unehrerbietig, Bruder Dudo.«
Bruder Dudo hielt seinem Blicke stand.
»Das Gehen mit dir will mir zur Last werden«, stieß Hanß hervor.
Immer noch schwieg Bruder Dudo.
»Aber nicht deinetwegen«, sagte Hanß schließlich und senkte den Blick. »Denn deinem Munde entweichen Worte, als seist du mein eigenes Gewissen.«
Sie gingen weiter und sprachen nichts, bis Bruder Dudo murmelte:
»Bruder Hanß, vergib mir meine Frechheit, mir liegt bloß am Herzen, dass ich dich glücklich sehe!«
»Das wirst du«, sagte Hanß nach einer Weile, in der er versuchte, an nichts zu denken. »Schon bald. Und ich werde deiner nicht vergessen.«
Hanß schmerzte der Rücken. Da er es auf dem Hinweg nicht getan hatte, fürchtete er, dass er umso stärker schmerzen würde, je weiter sie sich Köln näherten. Wenn er schon hier derart schmerzte, wie würde es dann erst am nächsten Tag sein? Es war, als wolle der Rücken verhindern, dass sie überhaupt nach Köln gingen. Vielleicht sollten sie lieber kehrtmachen und direkt nach Compostela aufbrechen. Aber nein, der ehrwürdige Vater und Herr Erzbischof Matthias hatte eine klare Anweisung gegeben: erst die Beginen und Meister Eckhart retten, dann zum Grabe des heiligen Jacobus pilgern. Angestrengt setzte Hanß einen Fuß vor den anderen.
Hatte er die Herrlichkeit nicht gesehen? Damals, als seine Mutter, Gott sei ihrer Seele gnädig, starb und sie sich die Sünden gegeneinander und die aller anderen Menschen vergeben hatten. Es war so kalt gewesen wie jetzt. Dennoch hatte die Todgeweihte darum gebeten, dass er das Fenster öffnen und das Feuer verlöschen lassen möge. Uda hatte sich aufgedeckt, um die Kälte in allen Gliedern zu spüren, und forderte ihn auf, das Gleiche zu tun. Alle fleischliche Sinneslust, worunter zuvörderst das Verlangen nach Wärme zu zählen sei, hatte sie gesagt, halte mit den Wonnen des ewigen Lebens keinen Vergleich aus, so hell sie auch im Erdenlicht erstrahlen möge. Hanß hatte gespürt, wie die Worte der Sterbenden ihm Durst machten, mit seines Herzens Mund die hoch daherströmenden Wasser der Quelle göttlicher Wahrheit aufzunehmen und Seine Werke zu bewundern. Während sie als Lebende ihm die tiefsten Qualen der Verführung hatte schmecken lassen, war sie es als Dahinscheidende nun, die ihn anleitete, die ganze Körperwelt und die Herrlichkeit Seiner Schöpfung zu durchwandern, um bis hinauf in das Reich der Seelen zu gelangen, das Land unerschöpflicher Fülle, wo der Herr Israel auf der grünen Aue der Wahrheit ewig weidet.
Sie sagte zu Hanß: Durch alles, was ist, durch Erde, Wasser und Luft, durch Erinnerung, Träume und Worte, sagt uns der Herr, wenn wir nur bereit sind zu hören, dass nicht wir selbst uns gemacht haben, sondern
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