Demudis
Schwester Guta nicht seine Konkubine war und nicht von ihm oder in seinem Auftrag ermordet worden war. Magistra Sela jedoch blieb hart. Demudis dürfe bei der Trauerfeier nicht fehlen.
Aber während sie die vertrauten Worte der von Abt Norbert sehr schön gelesenen Totenmesse vernommen hatte, hatte Demudis gehört, wie Schwester Guta aus dem Sarg zu ihr sprach: »Weine nicht und betrübe dich nicht um meinetwillen, teure Schwester, denn deine Trostlosigkeit geht mir so nahe, dass ich, wenn es der Wille unseres süßesten Liebhabers zuließe, allezeit in diesen Schmerzen leben wollen würde, um in allem deine und der anderen Schwestern, die ich in Köln zurückgelassen habe, Trösterin sein zu können.«
Demudis hatte gesehen, wie die Cherubim und Seraphim ihre Seele hochhoben zum Kreuze, damit Schwester Guta von ihrem himmlischen Bräutigam den Kuss süßer denn Honig empfangen konnte. Sie jedoch war dem holdseligen Bräutigam Jesus Christus ungestüm um den Hals gefallen, um ihn inniglich zu umschlingen und aus seinen einzelnen Wunden nach Art einer Biene, welche begierig aus den verschiedenen Blumen saugt, besondere Wonnen in sich zu ziehen. Und derweil gesungen wurde »Sei gegrüßt, o Braut, der Jungfrauen Königin, Rose sonder Dorn«, hatte Demudis gesehen, wie der gerührte Bräutigam seiner Braut ein Geschmeide aus prachtvoll schimmernden Edelsteinen um den Kopf kränzte. Dann hatte sie den Herrn erblickt, der strahlend in seiner Gottheit, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, hervorgetreten war und gesagt hatte: »Jetzt, meine Geliebte, werde ich dich erhöhen«, und so hatte er die Seele in unbeschreiblicher Weise durch seine heiligen Wunden gegrüßt, dergestalt dass jede Wunde eine beseligende Einwirkung auf sie ausübte, nämlich durch den lieblichen Ton, einen wohl tuenden Hauch, einen reichlichen Tau und einen herrlichen Glanz.
Ergriffen dachte Demudis daran, dass sie selbst Derartiges noch nie erlebt hatte. Sie hatte sogar auf die Schwestern herabgeblickt, die von solchen Dingen berichteten. Wie ungerecht sie gewesen war! Wie verblendet! Ich danke dir, meine Schwester, murmelte sie, du Arznei der Gnade.
So geschah es, dass Demudis erst heute, am Tage der heiligen Cointha, in der Früh nach Katzenelnbogen aufbrechen konnte, um mit dem Grafen Walram zu sprechen. Warum wollte er den Bauernburschen Martin zum Erben des Hauses von Riehl machen? Martin war der Sohn von Schwester Guta. Aber wer war sein Vater? Wahrhaftig der Herr Adolf von Riehl? Demudis hatte plötzlich eine Eingebung: Oder war Martin der Sohn des Grafen? Dann hätte er ihn in sein eigenes Erbe einsetzen können, um ihn in den Adelsstand zu erheben. Nein, vielleicht doch nicht. Gesetzt, der Graf habe einen rechtmäßigen Sohn, der Graf werden sollte. Dann könnte es durchaus sein, dass er für seinen Bastard nach einer anderen Lösung Umschau gehalten hatte. Ein kühner Gedanke, der allerdings nach einer Erklärung verlangte, wie der Graf Walram von Katzenelnbogen zum Vater eines Sohnes werden konnte, dessen Mutter Schwester Guta aus dem Kölner Konvent der Bela Crieg war.
Wann war Schwester Guta eigentlich in den Konvent eingetreten? Demudis wusste es nicht. Sie hatte vergessen, es die Magistra zu fragen. Nein, »vergessen« war der falsche Ausdruck, denn ihr war ja nicht eingefallen, dass es wichtig sein könnte, dies zu wissen. Jetzt war es zu spät, denn sie war schon etliche Stunden unterwegs, und es würde ihr zu viel Zeit stehlen, umzukehren und es in Erfahrung zu bringen. Demudis spann den Faden weiter: Nehmen wir an, Schwester Guta entläuft dem Herrn Adolf von Riehl und flüchtet sich als Konkubine in die Arme des Grafen Walram. Sie trägt das Kind des Grafen aus, das zu Bauern in Katzenelnbogen gegeben wird. Der Graf verfügt ihren Eintritt in einen Kölner Beginenkonvent. Er sieht seinen Bastard Martin aufwachsen und unterstützt ihn heimlich, indem er seinem Ziehvater Seifried alle nur erdenklichen Erleichterungen verschafft, wie Martin und Anna dies ja auch berichtet hatten. Als Graf Walram erfährt, dass Martin von der Erbfolge des Hofes ausgeschlossen worden ist, trachtet er danach, ihm auf andere Weise Genugtuung zu verschaffen. Er verfällt auf die Lüge, Martin sei der Sohn des Herrn Adolf von Riehl, und schickt Martin mit einem entsprechenden Schreiben zu Schwester Guta, seiner einstigen Buhle.
Wie verhält sich Schwester Guta? Stimmt sie zu und will für Martins Abkunft aus dem Blute derer von Riehl bürgen? Dann
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