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Den ersten Stein

Den ersten Stein

Titel: Den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elliott Hall
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habe Ihnen eine Frage gestellt.«
    Wäre ich nicht so fix und fertig gewesen, hätte ich schon früher gemerkt, wie viele Milizionäre mit mir im Wagen waren. Sie
     saßen in kleinen Gruppen zusammen, unterhielten sich aber nicht. Zu ihren Füßen lagen Segeltuchseesäcke aus dem Armee-Shop,
     als führen sie mit der Subway zu einem Truppeneinsatz. Nur einige wenige unter ihnen waren tatsächlich Veteranen. Deren Augen
     hatte der Sand des Heiligen Landes in ausdruckslose Knöpfe verwandelt.
    »Was, wenn ja?«, fragte ich. Ich hatte keine Lust, irgendjemandem meine Familiengeschichte zu erklären, aber falls er darauf
     aus war, sein eigenes Pogrom zu beginnen, sollte er besser auf jemanden stoßen, der ihm das Maul stopfen konnte.
    »Sie sind nicht im Heiligen Land.«
    »Nee, so was.«
    Der Captain blickte überrascht. Falls er von mir erwartete, dass ich mich entschuldigte oder rechtfertigte, war er offensichtlich
     noch nicht lange in New York. »Also, warum denn nicht, zum Teufel?« Seine schrille Stimme lag irgendwo zwischen Anklage und
     Beschwerde.
    Mir wurden all die anderen Milizionäre im Wagen bewusst, die mich beobachteten, und die paar Zivilisten, die ihr Bestes taten,
     mich zu ignorieren.
    »Dort gehört ihr Typen eigentlich hin.«
    Ich kämpfte gerade gegen den Drang an, ihm zu zeigen, wo meine Faust eigentlich hingehörte, als die Stimme des Fahrers aus
     dem Lautsprecher kam: »Aufgrund eines Zwischenfalls wird dieser Zug an der nächsten Station, Houston Street, die Fahrt abbrechen.
     Wir bitten um Ihr Verständnis.« Der Zug hielt, die Türen gingen auf, und ich stieg aus, bevor der Captain etwas sagen konnte,
     das mich gezwungen hätte, ihn niederzuschlagen.
    Das Village lag wie ausgestorben da. So ruhig war es auf den Straßen sonst nicht einmal um vier Uhr morgens, ganz zu schweigen
     von einem Werktagvormittag. Durch die Seventh Avenue sah ich eine Menschenmenge, die sich im Christopher Park zusammengeschart
     hatte. Die Versammlung wirkte größer und weniger friedlich als der Mob vor Thorpe Industries. Es sah so aus, als hätte Bennys
     Bekannter im Rathaus nicht übertrieben: Was immer die Ältesten da in Gang gesetzt hatten, es breitete sich aus. Captain Fred
     stellte seine Truppen auf der Houston Street auf. Er schrie jeden an, der aus der Reihe trat, und fühlte sich offensichtlich
     enorm wichtig. Ich hielt mich fern, da ich nicht wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten wollte. Eine Reihe berittener
     Polizisten hielt in der Houston Street die Stellung. Sie trugen die kompletteSchutzkleidung: Kevlar, Leder und Plexiglas löschten jedes Merkmal des Menschen aus, der sich darunter befand. Sie standen
     reglos und stumm da, eine geisterhafte Kavallerie, die auf den Kriegsruf wartete. Wie die Polizisten vor Thorpe Industries
     waren auch sie nicht da, um einzugreifen, sondern nur, um eine Ausbreitung dessen, was da in der Nähe des Christoper Park
     geschah, zu verhindern. Ich fragte mich, ob sie ihre Befehle noch immer vom Rathaus erhielten. Dampf stieg aus den Gullydeckeln
     auf und ließ die schwarzen und braunen Pferde bleich wirken.
    Der einzige Zivilist weit und breit war ein alter, gebeugter Mann, der gerade groß genug war, den Zeitungsstand auszufüllen,
     den er an der Straßenecke betrieb. Er wirkte nicht überrascht von dem, was sich vor ihm abspielte, und schien sich um das
     Fehlen von Kundschaft nicht zu scheren.
    »He, Kumpel«, fragte ich, »wissen Sie, was hier los ist?«
    »Keine Ahnung«, antwortete der alte Mann. »Aber ich brauche kein Extrablatt, um zu wissen, dass es verdammt noch mal die Apokalypse
     ist.« Die Milizionäre marschierten los. Wider besseres Wissen folgte ich ihnen.
    Weggeworfene Transparente übersäten die Seventh Avenue, eine Spur hassdurchtränkter Brotkrumen. Die meisten Sprüche waren
     biblisch: »Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einem Weib. Das ist abscheulich.« Oder: »Und der Herr hat die Städte
     Sodom und Gomorrha zu Schutt und Asche gemacht und zum Untergang verurteilt und damit ein Beispiel gesetzt den Gottlosen,
     die hernach kommen werden.« Andere waren einfach nur gemein; am schlimmsten war ein großes Transparent, das einen Abschnitt
     des Aids Memorial Quilts abbildete und darüber die Worte setzte: »Gestorben an Aids, Gottes Strafe.«
    An der Christopher Street um die Ecke war einmal ein berühmter Schwulenclub namens Stonewall gewesen. Er warEnde der Sechzigerjahre der Schauplatz eines bahnbrechenden

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