Den ersten Stein
einfach nur ein dummer Kerl, und was für eine unbedeutende Rolle der Herr mir auch zugedacht hatte, würde schon zur rechten
Zeit offenbar werden.
Ich konnte nicht anders, als über diesen Tag nachzudenken. Warum gerade dieser eine Vorfall? Ich hatte da draußen schlimmere
Tage erlebt. Mein Gewissen war rein, aber ich konnte mir nicht sagen, dass ich diese Menschen getötet hatte, um jemanden zu
verteidigen. Es war einfach ein weiteres Desaster an einem Ort voll gottverdammt beschissener guter Absichten. Dann hatte
ich eine, wie nennt man das noch … Wissen Sie, dieses Ding, das die drei Könige hatten.«
»Eine Epiphanie?«
Jack schlug mit der Faust auf den Tisch. »Genau. Ich begriff, dass Gott versucht hatte, mir an jenem Morgen etwas zu zeigen,
und dass mir das vollkommen entgangen war.«
Jack trank sein Bier und verstummte. Ich wartete ab, aber es kam nichts mehr.
»Und was ist Ihnen also entgangen?«
»Ich weiß es noch nicht, aber jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, verpasst mir der liebe Gott einen neuen Schubser.Ich hatte immer schreckliche Angst vor dem Einschlafen. Ich bin tagelang aufgeblieben und habe alles eingeschmissen, was ich
nur konnte, um mich wach zu halten. Als ich diesen Brief geschrieben habe, war ich mit massenhaft Amphetamin und einer halben
Kaffeeplantage zugedröhnt.«
»Sie werfen Bruder Isaiah also gar nichts vor?«
»Ich weiß eigentlich gar nichts über ihn. Ich muss ihn im Radio gehört haben, als ich stoned war.« Er griff nach seinem Brief,
las ihn durch und lachte: »Wollen Sie was Komisches hören? Sie brechen bei mir zu Hause ein, und diese Gangster versuchen
mich wegzupusten, aber heute ist der erste Tag seit langem, an dem ich keine Angst habe. Egal, was ich heute Nacht sehe, ich
weiß, es hat einen Sinn.« Jack lächelte und einen Moment lang sah er aus wie der Junge, der er war.
Ich lehnte mich zurück und ließ den Blick umherschweifen, während ich über das nachdachte, was er gesagt hatte. Das einzig
Saubere in dem Lokal war ein langer Spiegel hinter der Bar. Durch irgendein Wunder war er bei den vielen Schlägereien verschont
geblieben, die ihre Spuren im Holz der Theke hinterlassen hatten. Ich konnte beinahe jeden der hier Anwesenden im Spiegel
sehen. Ein alter Trunkenbold wärmte einen Stuhl am anderen Ende der Theke. Er hielt ein Glas mit irgendetwas Widerlichem in
der Hand und versuchte, unter der Baseballkappe auf seinem Kopf zu verschwinden. Ein anderer alter Ex-Marine saß mit einigen
Männern an einem Tisch bei der Tür. Der um sein Bierglas gelegten Hand fehlten der kleine Finger und der Ringfinger. Unsere
Blicke begegneten sich, und mich fröstelte.
Jeder in dieser Bar sah so aus oder bewegte sich so, als hätte jemand ihn als Berufskiller angelernt. Ich hatte viel Zeit
in der Veteranenszene verbracht, aber dieser Ort hier war anders. Keiner sah lebendig aus. Einige waren im Heiligen Land gefallen;
der Rest war mit mir auf dem Großen Kreuzzuggewesen. Sie waren von Farmen, aus Shopping-Centern und betonierten Vorgärten geflüchtet, hatten von etwas Größerem geträumt
oder es waren ihnen die Optionen ausgegangen, und alle waren auf dieselbe Weise bestraft worden. Keiner war zurückgekehrt.
Sie waren hier zwischen Leben und Tod gefangen und warteten darauf, dass der König der Könige wiederkehrte und die Lebenden
und die Toten endlich zur Rechenschaft zog. Jetzt, da der Vatikan das Fegefeuer geschlossen hatte, war Queens der beste Ort,
bis dahin die Zeit totzuschlagen.
Ich spürte, wie das Heer der Betrunkenen von etwas Neuem ergriffen wurde, wie sich plötzlich ihre Finger um die Gläser krampften.
Über Jacks Schulter hinweg sah ich zwei Männer im Eingang stehen. Der Dicke aus Jacks Mietshaus stand der Theke am nächsten,
er trug noch immer die Pilotenbrille. Seine Waffe befand sich irgendwo unter seinem Trenchcoat, der selbst für seine korpulente
Gestalt zu groß war. Auf seiner Stirn sammelte sich der Schweiß. Angesichts der Temperaturen draußen war das nicht recht zu
begreifen, es sei denn, man rechnete den Fitnessfaktor der Angst mit ein.
Sein Freund war viel jünger, etwa in Jacks Alter. Man hatte ihn wegen seiner Größe engagiert. Die unter ein schmutziges T-Shirt gezwängten Muskeln stammten nicht von ehrlicher Arbeit oder einem Fitnessstudio in SoHo; ein Gefängnishof war weniger exklusiv.
Sein breites, eckiges Gesicht ließ auf einen beträchtlichen Vorrat an Dummheit
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