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Den ersten Stein

Den ersten Stein

Titel: Den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elliott Hall
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auffordern, langsamer zu fahren. Jedes Schild schreibt eine neue Geschwindigkeitsbegrenzung vor, so dass die Wagen
     nur noch im Schritttempo rollen, wenn sie bei uns ankommen.«
    »Ich glaube, den Film habe ich gesehen.«
    »Ja, Sie und jeder, der schon mal Nachrichten geschaut hat. Dieser Wagen – ein zerbeulter alter Ford ohne Fenster, mindestens
     zwanzig Jahre alt – rast also doppelt so schnell wie erlaubt auf den Kontrollpunkt zu. Unser Kommandant fordert den Fahrer
     mit einem Megaphon in jeder ihm bekannten Sprache auf, langsamer zu fahren. Aber der Wagen fährt einfach weiter. Er überquert
     die rote Linie und unserem Kommandanten bleibt keine Wahl mehr. Er nickt mir zu, und ich eröffne das Feuer mit einer Minigun.
     Durch die Wucht der Kugeln überschlägt der Wagen sich ein paarmal und bleibt dann aufrecht stehen. Der Kommandant will gerade
     jemandem befehlen, nach Überlebenden zu schauen, als der Wagen in Flammen aufgeht. Dann haben wir das Schreien gehört.« Jack
     leerte sein Bier. Er starrte kurz auf die Flasche und bat dann mit einem Wink um eine neue.
    »Eine Frau fiel aus dem Fenster der Beifahrerseite. Sie trug eine dieser Burkas, und die stand in Flammen. Sie versuchte aufzustehen
     und taumelte. Wir taten gar nichts. Selbst mein Kommandant, der im ganzen Nahen Osten gekämpft hatte, war wie erstarrt. Sie
     schrie die ganze Zeit, dann fiel sie zu Boden und hörte auf, sich zu bewegen. Wir löschten das Feuer und sahen im Wagen nach.
     Auf dem Rücksitz fanden wir die Leichen von zwei kleinen Kindern, so verkohlt, dass wir nicht sagen konnten, ob es Mädchen
     oder Jungen waren. Es gab keine Waffen im Wagen, keine Flüchtlinge, keinen Sprengstoff.
    Als wir aufgeräumt hatten, gab es eine Besprechung mit unserem Kommandanten. Er sagte, dass so etwas eben vorkomme,dass wir verdammtes Glück gehabt hätten, dass es nicht schon früher passiert sei, und dass es wahrscheinlich wieder geschehen
     werde. Er sagte, die Kontrollpunkte in der Nähe von Jerusalem seien so heftig attackiert worden, dass man dort inzwischen
     auf alles schoss, was sich bewegte. Wir hatten die Vorschriften befolgt und richtig gehandelt. Also schrieb unser Captain
     einen Bericht, und wir vergaßen die ganze Sache.«
    »Sie vergaßen die ganze Sache?«, fragte ich. Ich nahm mir wieder den Brief vor, den er dem
Kreuzzug
geschickt hatte. »Sie haben geschrieben: ›Ich sehe diesen Morgen vor mir, wann immer ich die Augen schließe.‹«
    »Die Träume fingen erst an, nachdem ich schon ein paar Monate zurück in den Staaten war«, erklärte Jack. »In der einen Nacht
     schlafe ich noch gut und in der nächsten   …« Er machte sich nicht die Mühe, den Satz zu beenden. »Es ist genau derselbe Tag, als würde ich alles noch einmal erleben.
     Dieselbe Fliege summt mir wieder um den Kopf. Ich weiß so genau, was meine Kumpels sagen werden, dass ich es jetzt Wort für
     Wort wiederholen könnte. Ich könnte Ihnen jeden Schatten nennen, der irgendwo an diesem Ort auf einen Stein fällt. Und der
     Wagen, der ist auch immer derselbe.«
    »Sie schießen immer darauf?«
    »Mir bleibt nie eine andere Wahl. Ich beobachte mich einfach dabei, wie ich jedes Mal dasselbe tue.«
    Mir wurde plötzlich bewusst, wie wenig Lärm rundum herrschte. Es gab weder Musik noch einen Fernseher, der für Hintergrundgeräusche
     gesorgt hätte. Gelegentlich hörte ich, wie die Bälle auf dem Billardtisch hinter uns mit einem Klicken zusammenstießen. Es
     befanden sich mindestens fünfzehn Männer im Raum und trotzdem hörte ich kein Wort. »Haben Sie jemals herausgefunden, warum
     sie versucht hat, den Kontrollpunkt zu überfahren?«
    Jack schüttelte den Kopf. »Falls die etwas herausbekommenhaben, haben sie uns nichts davon gesagt.« Er zögerte. »Ich hab heute Morgen in einem Bus aus Philadelphia gesessen. Kein
     einziger Passagier hat mir in die Augen geschaut. Die haben nur einen einzigen Blick auf mich geworfen und angefangen, die
     Sekunden zu zählen, bis ich einen Flashback habe und durchdrehe. Es hat mir nichts ausgemacht; ich bin inzwischen daran gewöhnt.
     Ich habe einfach aus dem Fenster gesehen und vor mich hin gestarrt. Aus irgendeinem Grund fing ich an, über die Sonntagsschule
     nachzudenken. Jeden schönen Sonntagmorgen haben sie uns als Kinder in dieses schäbige Kellergeschoss der Kirche gesteckt und
     uns erzählt, Gott habe einen Plan für diese Welt. Eigentlich habe ich bis heute Morgen niemals darüber nachgedacht. Ich war
    

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