Den ersten Stein
White
gegen diesen Mann in der Hand haben mochte, dass er es für sicher hielt, die Leiche hier zu verstecken. Er brauchte nicht
viel, um dem Normalbürger das Leben zur Hölle zu machen. »Wenn er nicht hier ist, muss irgendetwas faul sein. Mit dem hier
bin ich fertig.« Ich zeigte auf Krenz.
Krein beeilte sich, die Leiche ins Kühlfach zurückzuschaffen. Oben kamen und gingen die Trauergäste, und die Decke knarrte
unter den Tritten ihrer guten Schuhe. Ich fragte mich, ob White Krenz’ Leiche jemals wieder ans Tageslicht bringen würde,
so dass seine Familie einen Gottesdienst abhalten und an einem Ort wie diesem mit anderen um ihn trauern konnte. Vielleicht
vermisste ihn ja keiner, vielleicht hatte ihn seine Frau gehasst, und er hatte keine Kinder. Trotzdem sollte man ihm die Chance
geben.
Das Kühlfach schloss sich mit einem Klicken. Krein wandtesich zu mir um, in seinen Augen die Hoffnung, dass ich endlich gehen würde.
»Wann hast du wieder mit dem Rauchen angefangen?«, fragte Benny.
»Ich rauche nicht«, sagte ich und zündete mir eine seiner Zigaretten an. »Ich rette dir das Leben, Zigarette um Zigarette.«
Benny war ein hochgewachsener Jude aus Brooklyn, der Wert auf seinen schlechten Haarschnitt legte. Seine grauen Augen bewegten
sich flink, und die gewölbten Augenbrauen und sein leicht schiefer Mund zeugten von einer Haltung ewiger Verachtung für die
Welt um ihn herum. Benny machte eine gute Figur, so lässig an die Fassade des Starlights gelehnt, aber wenn man es mit Scharfschützen
zu tun bekam, war es eine verdammt unpraktische Silhouette.
Wir standen vor dem Starlight Diner, nickten unseren nikotinsüchtigen Brüdern und Schwestern auf der anderen Straßenseite
zu und zwangen die Passanten, um uns herumzugehen. Die meisten hatten trotz des herbstlichen Wetters ihre Mäntel in der Mittagspause
am Arbeitsplatz zurückgelassen. Da ich außer Inhalieren nichts zu tun hatte, sah ich den vorbeiflanierenden Frauen zu. Die
meisten konnte man zwei sehr unterschiedlichen Kategorien zuordnen.
Der erste Typus war eine schwindende Minderheit: Frauen in den neuesten europäischen Hosenanzügen, die sich an den seltenen
Tagen, an denen sie die Zeit dazu hatten, ein wenig Bewegung verschafften. Sie waren Kämpferinnen auf zehn Zentimeter hohen
Absätzen, die sich auf Vorstandssitzungen und Vertriebsbesprechungen die Knöchel blutig schlugen. Sie hatten sich gegen alle
Widerstände in Spitzenpositionen hochgeboxt und mussten jetzt zusehen, wie die Glasdecke wieder eingezogen, die alten Hindernisse
Stück fürStück wieder aufgerichtet wurden. Sitzungen wurden ohne ihr Wissen neu terminiert, Telefonkonferenzen gestrichen und ihre
Namen aus dem Firmenimpressum verbannt. Sie wurden wie Verunstaltete außer Sichtweite gehalten, damit sie auf keinen Fall
irgendwen mit ihrer Kompetenz kränken konnten. Isoliert wie sie waren, steckten sie ihre ganze Wut in ihre Arbeit und hielten
sie ansonsten im Inneren verborgen, damit niemand sie zickig nennen konnte. Sie waren ständig auf der Hut und lächelten nur,
wenn sie zu Hause bei ihren Familien waren.
Der zweite Typus waren Frauen, die als Rezeptionistinnen, Sekretärinnen oder Repräsentantinnen eingestellt worden waren, die
neuen Gesichter der imagebewussten Firmen. Sie trugen das Neueste an sittlichem Schick, um die Religiösen zu beeindrucken,
während die Perlen um ihren Hals die Aufmerksamkeit auf das bisschen Haut lenkten, das sie zugunsten der Weltlichen noch zeigen
konnten. Sie hatten die im Nordosten plötzlich so beliebten Benimmschulen für Mädchen absolviert, und man hätte ihnen eine
Enzyklopädie auf den Kopf legen und dann zuschauen können, wie diese die Eighth Avenue entlangschwebte. Ihr Anstellungsverhältnis
diente hauptsächlich dazu, die Auswahl der in Betracht kommenden Männer zu vergrößern und war zeitlich begrenzt: Sobald ein
geeigneter Versorger gefunden war, kündigten sie ihre Stelle und zogen in die Vorstadt, um dort eine Familie zu gründen, wie
man es von ihnen erwartete.
Das Problem war, dass manche dieser jungen Frauen ihre Fügsamkeit schon seit dem College nur vortäuschten, andere wurden skeptisch,
nachdem sie die alles andere als reine Luft der Großstadt geschnuppert hatten, eine Mischung aus Gefahr, Sex und Anonymität,
von der die Oma zu Hause auf dem Land Albträume bekommen hätte. Vielleicht hatten sie sich eingeredet, dass sie ein doppeltes
Spiel
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