Den Löwen Zum Frass
Iddibal, der zusammengesunken neben Helena saß und kaum etwas von dem mitbekam, was um ihn vorging. »Iddibal, warum war Calliopus so entschlossen, Rumex ins Jenseits zu befördern? Das hatte doch bestimmt nicht nur mit dem Grabenkrieg zu tun?«
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Cal- liopus hasste Rumex.«
Woraufhin ich überlegte, ob Artemisia im Dezember nicht nur in die Villa in Surrentum geschickt worden war, damit sie aufhörte, wegen der Mätresse ihres Mannes zu maulen, sondern tatsächlich zur Strafe. Helena musste denselben Gedanken gehabt haben. Vermutlich erinnerte sie sich daran, wie ihr Euphrasia gesagt hatte, Calliopus' Frau habe für so einiges Rechenschaft abzulegen und dass er sie wahrscheinlich schlage. Helena sagte mit leiser Stimme: »Calliopus ist ein ungeheuer eifersüchtiger Mann, grüblerisch, ein Intrigant und völlig unversöhnlich. Kann es sein, dass Artemisia eine der Frauen war, die was mit Rumex hatten?«
»Sie hatten eine Affäre«, bestätigte Iddibal mit leichtem Schulterzucken, als ob das jedermann wüsste. »Calliopus hatte es nur aus persönlichen Gründen auf Rumex abgesehen. Das hatte nichts mit dem Geschäft zu tun.«
Helenas und mein Blick trafen sich, und wir seufzten beide. Schließlich doch nur ein Verbrechen aus Leidenschaft.
Ich sah erneut zu Artemisia, die so still und in sich gekehrt dasaß, genau wie eine Frau, die von ihrem
Mann furchtbar verprügelt worden ist. Blutergüsse konnten gut die Erklärung für die langen Ärmel und das hochgeschlossene Kleid sein, ganz zu schweigen von ihrer geduckten Haltung. Ihr Gesicht und ihre Figur waren atemberaubend, doch ihre Augen waren leer. Ich fragte mich, ob das schon immer der Fall gewesen war oder ob man ihr den Elan ausgeprügelt hatte. Was auch immer sie Schlimmes getan hatte, Artemisia war fraglos jetzt eines der Opfer.
Justinus und ich erreichten erneut den Haupteingang zum Amphitheater. Wir warteten auf unsere Kumpel, damit wir den Rollentausch vornehmen konnten.
In der Arena umschlichen sich die beiden herumtastenden Andabaten nach wie vor langsam. Voll geschützt durch Kettenpanzer, waren die blinden Kämpfer darauf trainiert, sich wie Schwammtaucher im tiefen Wasser zu bewegen, jeden Schritt und jede Geste mit größter Sorgfalt auszuführen und dabei die ganze Zeit mit gespitzten Ohren auf jedes Geräusch zu achten, das ihnen den Standort des Gegners verraten konnte. Sie vermochten ihn nur zu schlagen, wenn sie den Kettenpanzer durchdrangen, was schon schwer genug war, wenn sie hätten sehen können. Ich erwartete stets, sie unverwundet aus der Arena gehen zu sehen, aber immer wieder gelang es einem, die Metallsegmente zu durchtrennen und Gliedmaßen zu verletzen oder ein Organ zu durchstechen.
Genau das geschah auch heute. Die blinden Kämpfer wurden wegen ihrer Leichtfüßigkeit und Behändigkeit ausgewählt, waren aber überaus stark. Wenn einer einen Treffer erzielte, war es meist ein guter. Der Schlag hallte in der ganzen Arena wider, war selbst in den höchsten Sitzreihen zu hören, von denen aus die Kämpfer wie winzige Spielzeugfiguren aussahen. Sobald er sein Ziel gefunden hatte, schlug er immer und immer wieder zu. Also tippte Rhadamanthus die Leiche bald darauf mit seinem Eisenhammer an, und wieder wurde ein Toter hinausgezerrt.
Rasch wechselten wir die Kleider mit Rhada- manthus und Hermes.
»Watschel ein bisschen, sonst werden wir gleich als Schwindler enttarnt«, wies ich Justinus an. Dann packte ich den langstieligen etruskischen Hammer, und er griff nach dem Caduceus, der von einem kleinen Jungen mit einem Kohlebecken wieder glühend heiß gemacht worden war.
Die vom Sand aufsteigende Hitze hüllte uns ein, als wir darauf warteten, dass die Harker den Boden für uns glätteten. Die weichen Stiefel, die ich tragen musste, federten selbst auf dem lockeren Untergrund. Die Schnabelmaske erschwerte das Sehen und nahm mir seitlich die Sicht. Ich musste mich erst daran gewöhnen, den ganzen Kopf zu drehen, wenn ich nach links oder rechts schauen wollte. Helena und Claudia würden uns bestimmt entdecken. Hermes war unmaskiert, also wussten wir, dass sie Justinus sofort erkennen würden.
Vor der Sondervorführung entstand eine kurze Pause. Justinus und ich stolzierten rund um die Arena und gewöhnten uns an ihr Ausmaß und die Atmosphäre. Niemand hielt uns auf oder nahm Notiz von uns.
Lauter Trompetenschall leitete die nächste Runde ein. Ein Herold verkündete die Bedingungen:
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