Den Löwen Zum Frass
verstört, aber nicht mehr so aufgelöst, erhob er sich aus seiner knienden Stellung neben seiner toten Tante. »Das ist sein Messer«, sagte er, sich wieder fassend. »Fidelis war ihr Dolmetscher.«
Meine Stimme musste einen grimmigen Klang angenommen haben. »Ein Mann mit diesem Namen hat Botendienste in Rom verrichtet. Ich hab so eine Ahnung, dass deine Tante ihn noch für etwas viel Schlimmeres benutzt hat. Es wird dir nicht gefallen, Iddibal, aber du wirst dem ins Auge sehen müssen. Ich glaube nicht, dass Myrrah jemals Geld für deine Freilassung von Calliopus bezahlt hat.«
»Was?«
»Als sie von dir hörte, dass Calliopus Rumex ermorden lassen wollte, bot sie ihm an, an deiner Stelle den Auftrag zu übernehmen. Ich glaube, sie hat Fidelis dazu benutzt. Er hat deine verlorene Kette mit in das Trainingslager von Saturninus genommen und sie Rumex zum Geschenk gemacht. Rumex ließ ihn nahe an sich heran, und als er die Kette über den Kopf streifen wollte, hat ihm Fidelis die Kehle aufgeschlitzt. Im Gegensatz zu Myrrah, die heute vorsichtig gewesen sein muss, wurde Rumex von dem Angriff völlig überrascht. So konnte der Sklave ihn mit einem einzigen Schnitt töten und sein Messer wieder mitnehmen.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Iddibal. Das tun die Leute nie. Dann denken sie noch mal darüber nach.
»Myrrah muss beschlossen haben, dass Fidelis zu viel wusste«, setzte Justinus die Geschichte mit sanfter Stimme fort.
»Also kam sie auf die Idee, ihn heute in der Arena töten zu lassen, um ihn zum Schweigen zu bringen.«
»Vielleicht wurde Fidelis zu aufmüpfig, nachdem er Rumex getötet hatte«, meinte ich in Erinnerung an sein Verhalten in Sabratha.
»Aus irgendeinem Grund hat sie ihn noch mal aufgesucht, vielleicht, um sich zu entschuldigen.« Justinus war ein netter Kerl. Ich hielt es für wahrscheinlicher, dass Myrrah den zum Tode verdammten Sklaven verhöhnt hatte. »Er ging mit dem Messer auf sie los, und sie war zu entsetzt, um nach Hilfe zu rufen .«
»Das hätte sie gar nicht können«, sagte ich. »Sie hatte ihn angestiftet, Rumex zu töten, also war sie ebenfalls schuldig. Das musste unbedingt geheim bleiben.«
Und so war Myrrah, tödlich verwundet, aber sich dessen vielleicht gar nicht bewusst, stolz davongeschritten. Dann brach sie zusammen. Jetzt war sie tot.
Ich war drauf und dran, Fidelis selbst aufzusuchen und den Dreckskerl in die Mangel zu nehmen. Aber das konnte warten.
Fidelis hatte mir eigentlich wenig zu erzählen. Ich war jetzt sicher, dass ich genau wusste, was er getan hatte und wie er nun dazu verurteilt war, für die treuen Dienste, die er Myrrah geleistet hatte, zu bezahlen. So wie Justinus ihn beschrieben hatte, ruhig im Zelt sitzend, klang es danach, als hätte Fidelis begriffen, dass alles aufgeflogen war, und sich seinem Schicksal ergeben. Er war ein Sklave. Wenn er in der Arena starb, war das nur der Ort, an den ihn der Richter sowieso geschickt hätte.
Ich hatte etwas anderes zu bedenken. Jemand kam auf uns zu und blieb beim Anblick der Leiche stehen. Eine Frauenstimme rief in kultiviertem, aber verhärtetem Ton: »Was - Myrrah ist tot? Meiner Treu, sieht so aus, als hätten wir einen blutrünstigen Tag vor uns. Was für ein Spaß!«
Dann ließ sich Scilla, meine Exklientin, dazu herab, mich wahrzunehmen.
»Ich muss mit Ihnen reden, Falco! Was haben Sie mit meinem Agenten gemacht?«
»Ich dachte, ich sei Ihr Agent.«
Scilla zuckte mit den Schultern unter ihrem langen purpurfarbenen Umhang. »Sie sind nicht aufgetaucht, also habe ich jemand anderen gefunden, der die Arbeit für mich erledigt.«
»Romanus?«
»Das ist nur ein Deckname.«
»Dachte ich mir. Und, wer ist er?«
Sie blinzelte und wich der Frage aus. »Der Punkt ist - wo ist er, Falco? Ich habe ihn gestern Abend zu Calliopus geschickt, und jetzt ist er verschwunden.«
Ich hatte wenig Mitleid. »Da sollten Sie lieber Cal- liopus fragen.«
Sie lächelte, viel zu eingebildet für meinen Geschmack. »Vielleicht tu ich das später.«
Dann machte Scilla auf dem Absatz kehrt und ging mit federnden Schritten auf das Amphitheater zu. Ihre wuscheligen braunen Haare waren heute zu einem festen Zopf geflochten. Der Umhang, den sie um sich geschlungen hatte, verdeckte ihre sonstige Kleidung, aber als sie sich von uns entfernte, ließ sie ihn los, und er bauschte sich dramatisch auf. Als er zur Seite schwang, bemerkte ich, dass sie nackte Beine hatte und Stiefel trug.
Ich wies die Arenahelfer an, Myrrahs
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