Den Oridongo hinauf (German Edition)
hat.
Und dann steht sie da und zeigt auf einen Hut, den wir aller Wahrscheinlichkeit nach während der Willkommenszeremonie in Sand und Schlamm getreten haben, er liegt dort eingebeult, besudelt, er ist ruiniert. Reinert sieht ihn nun ebenfalls, und gemeinsam verlegen er und Berit sich darauf, ein wenig zu jammern – so was schon mal gesehen, der schöne Hut, ist das deiner?
Berit hebt ihn hoch und wischt ihn ab.
Meiner?
Ja, ob das mein Hut sei?
Ich mit Hut? Nein, jetzt müssen sie aber wirklich …
Sie lässt nicht locker. Der ist doch ganz neu!
Neu? Dann sieh doch mal her! Verschmutzt und ruiniert. Vom Meer angeschwemmt.
Da stehe ich nun und verleugne meinen Hut. Ich merke, dass mir heiß wird, und aller Wahrscheinlichkeit nach laufe ich rot an. Ich kann mich selbst nicht verstehen. Dieser Hut scheint auf irgendeine Weise zwischen uns zu stehen. Zwischen mir und diesen beiden Inselbewohnern. Vor kurzer Zeit ging ich noch am Meer entlang, die Jacke über den Rücken geworfen, den rechten Zeigefinger durch den Aufhänger gesteckt. Den Hut schräg gerückt. Aber jetzt ist es einfach unmöglich, mich zu diesem Hut zu bekennen. Es ist nicht meiner. Ich gehe nicht im Hute. Nun nimmt Reinert Berit den Hut weg. Klopft die Beulen glatt und wischt den Sand von der Krempe. Setzt den Hut auf seinen eigenen Kopf und macht einige alberne Handbewegungen. Und ich werde wütend. Ich reiße ihm den Hut vom Kopf und schleudere ihn weit über den Strand. Und im selben Moment scheint sich eine Jalousie vor meine Augen zu senken. Ich höre Berits Stimme wie aus weiter Ferne. Und auf der Jalousie wird jetzt ein Film gezeigt. Ich sehe mich am Fähranleger eintreffen, ich sehe mich an Bord gehen und in der Cafeteria Platz nehmen. Mit Hut. Ich sehe die Blicke der Einheimischen, ich sehe, wie sie sich an ihren Mobiltelefonen zu schaffen machen. Bald weiß die ganze Insel, dass Berits Freund aus der Stadt auf der Fähre und dann im Hafen eingetroffen ist – mit Hut.
Das denke ich, während ich die nötigen Korrekturen am Moped vornehme, am Motorrad, wie ich es gern nenne, ich überprüfe die Zündkerze, drehe den Deckel vom Benzintank, wische fast unsichtbare Ölflecken ab, ich denke an die Sache mit dem Hut und daran, was ich ganz klar als kleine Notlüge im Zusammenhang mit meinem Besitz eben dieses Hutes aufgefasst hatte, die Tatsache, dass ich plötzlich nicht zugeben wollte, dass er mir gehört, und an die bösen Worte, die infolge dessen gefallen sind, es ist nichts, woran es sich zu denken lohnt, diese Sache ist jetzt aus der Welt, aber hier stehe ich nun und denke daran, bis ich Arnes Schritte im Kies höre.
»Du kannst es dir doch überlegen. Niemand zwingt dich zu irgendwas. Komm jetzt!«
Ich weiß nicht so ganz, was ich darauf antworten soll, also sage ich nichts, ich folge ihm die Treppe hoch und ins Holländerhaus, in das alte Schulgebäude, das jetzt, wenn wir Inselbewohner erst einmal fertig damit sind, der Familie van der Klerk als Zuhause dienen soll, den Holländern oder Niederländern, je nachdem, die erwartet werden, die wir per Internet bereits willkommen geheißen haben. So gehe ich weiter. Dicht hinter Arne Svendsens breitem Rücken. Wir müssen bei dieser Arbeit zu dritt sein. Sonst geht es nicht. Sonst können wir das Fenster nicht einsetzen. Und Ellen lugt ein wenig verlegen zu mir herüber, als sie dahinten den Tisch abräumt, die unausgesprochene Entschuldigung liegt ihr auf der Zunge, während meine eigene Stimme, jetzt tief und klangvoll, ihnen beiden versichert, dass ich mir die Sache überlegen werde.
»Dann geht’s los!«
Und es geht los.
Hier festhalten! Stop! Moment noch! Eins. Zwei. Drei. Der alte morsche Fensterrahmen löst sich nach und nach. Die Fensterscheiben hat Arne schon am Vortag herausgeschlagen, damit sie jetzt nicht platzen und uns bei der Arbeit verletzen können, aber Ellen und ich geben ihm zu verstehen, dass wir verstehen, dass wir wissen, dass er, der erwachsene Mann, am Vortag hier oben im ersten Stock war und den Knaben gespielt hat. Er hat die Fenster herausgeschlagen, sagt er, und bei ihm hört sich das an wie eine schwere Arbeit, die er mit gewissem Widerwillen ausführen musste, mit einer in Sackleinen gewickelten Axt, aber ich bin wohl kaum der Einzige, der sich vorstellt, wie er da steht und mit halb ersticktem Gebrüll mit einem Ziegelstein aus dem Haufen auf dem Hofplatz die Fenster einwirft. Jedenfalls bin ich nicht der Einzige, der grinst, als er seine verlogene
Weitere Kostenlose Bücher