Den Oridongo hinauf (German Edition)
unternehmen, denn wie gesagt, hier lässt sich nichts machen, es brennt überall gleichzeitig, die Holzwände sehen aus wie Stapel aus glühenden Stäben, und über den Dachfirst jagt eine blaugrüne Feuerkugel von der Größe eines Autoreifens, hin und her in einer Art ruckhaftem Tanz, dann kracht das Dach durch die beiden Stockwerke und alle weichen mit einem Aufschrei zurück, schockiert und gefesselt von dem Springbrunnen aus Funken, die in alle Richtungen aufstieben, und später werden wir sehen, dass der Regen voller Asche war, unsere Gesichter verschmiert und schmutzig, die Haare klebrig, die Kleider ruiniert von großen und kleinen Brandflecken, aber noch stehen wir eine Weile wie in Trance da, alle für sich und doch in einer gemeinsamen Schar, einsam zusammen, werde ich später denken, ehe der schwere Schlaf mich auf dem Diwan im weißen Haus in Viken mitnimmt.
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Und wer fragt nach Schuld oder Unschuld, so, wie die Dinge nun eben stehen, oder besser gesagt, so, wie die Asche jeden Tag weggespült wird, vom Regen, der vom bleigrauen Himmel stürzt? Wir nicht. Niemand hier. Wir verbinden seine verbrannten Hände und gehen weiter, es gibt doch keine Alternative, da Evelyn van der Klerk nun einmal beschlossen hat, sich auf Dauer auf dieser Insel im Meer niederzulassen. Es gibt genug Häuser, und vielleicht war das Holländerhaus nicht einmal das beste, wir betrachten das alles mit gutem Willen, ehe wir ihr und den Kindern beim Umzug in ein mit Eternit verkleidetes Jedermannshaus nah am Strand im Norden von Neset helfen.
Einige Wochen vergehen, einige stille Wochen, Magne, Tage, mit nichts anderem gefüllt als dem im Alltag Notwendigen, Arbeit und Ruhe, die gemeinsamen Mahlzeiten von Berit und mir am Küchentisch, selbst gemachte Fischfrikadellen, Rogen, Schweineleber, Brot mit Wurst und Käse, abends im Wohnzimmer Kaffee und Kuchen. Die Hurtigrute, die draußen im dunklen Wasser vorübergleitet. Miles Davis und Keith Jarretts »The Impulse Years«, die für mich immer der eigentliche Soundtrack dieses merkwürdigen Herbstes sein werden, die fünf Platten, oder »Scheiben«, die mich an die fünf Tage erinnern, in denen Tom van der Klerk von dieser Welt verschwunden war. Ja, so denke ich mir das, er war für einige Zeit entrückt, aber ich frage mich, ob er auch für dich verborgen war, Magne, oder ob ihr auf der anderen Seite mehr spürt als wir, es kommt mir logisch vor, aber es wirkt auch nicht sonderlich logisch, dass wir, die leben, hier auf einem Stein sitzen, der durch das Weltall jagt, während wir Holz hacken, um nicht zu frieren, während wir uns streiten oder Kriege führen oder ganz einfach im Keller aufräumen, wie ich das an den Tagen nach dem Brand im Holländerhaus übrigens mache, ich räume hinter dir auf, ich säubere und ordne dein Werkzeug, und ich sortiere und bringe deine zahllosen Angelfliegen in den Stapeln von Dosen unter, die dort unten liegen, und die ganze Zeit lausche ich auf Berits Schritte über mir, und ich will, dass du weißt, dass ich jedes Mal, wenn ich einen der von dir hinterlassenen Gegenstände in die Hände nehme, ein Kleidungsstück, einen Zettel mit für mich unbegreiflichen Notizen (du schreibst wie ein betrunkener Arzt), in Dankbarkeit an dich denke, weil du das alles mit mir teilst, alles, was du hier hinterlassen hast, und weil du sogar eine Frau hinterlassen hast, die du mit so großer Liebe gefüllt hattest, dass sie Platz für mich hatte, wenn nicht in all meiner Hilflosigkeit, dann doch in all meiner Unzulänglichkeit, eine Frau, die an sich schon groß genug war, die aber auch gelernt hatte, mit weniger großen Männern umzugehen, denn perfekt warst du nicht, das hat sie erzählt, und das hat mir wiederum den Mut gegeben, den Raum zu betreten, den du einige Jahre zuvor verlassen hattest, sie hatte mir in ihren Briefen von dir erzählt, und es kam schon damals vor, dass ich Gespräche mit dir geführt habe, ja, sogar, dass ich glaubte, dich in den Gesichtern meiner Mitreisenden zu sehen, dass ich dich in Einzelnen von denen, die kamen und gingen, hervorträumte, ich empfand schon ein Vertrauen zu dir, nicht zuletzt, weil du tot warst und keinerlei Ansprüche stelltest, das Problem waren die Wünsche der Lebenden. Ja, hier sortiere ich deine Habseligkeiten, und ich denke an dich und Berit, an die Tatsache, dass ich fast ein halbes Jahrhundert gelebt habe, ohne zu wissen, dass es euch gab, ich mühe mich durch meine Tage, während ihr hier oben zusammen lebt,
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