Den Oridongo hinauf (German Edition)
– es fängt nicht am Küchentisch an, als sie mein Innerstes bloßstellt, mich zum Verkauf feilbietet, gewissermaßen. Es ist eine schmerzliche Erkenntnis, dass es anfängt, als alles zwischen uns gut ist. Gerade dann liege ich in der Dunkelheit und denke: Was, wenn das hier nicht geht? Was mache ich, wenn ich wieder ohne lange Vorwarnung weg muss? Wie schon so oft?
Wenn man von Viken in Richtung Laugen am Strand entlanggeht, kommt man unter einer Felsnase zu einem Wäldchen. Windgebeutelte Kiefern. Der Hügelkamm zieht sich durch ein kleines Tal, wo ein Weg zur Hauptstraße hochführt. Unter dem Hügelkamm, zwischen Haselsträuchern, liegt eine Hütte. Eine unansehnliche Hütte, muss ich wohl sagen, ja, im wahrsten Sinne des Wortes, vom Weg aus ist sie fast nicht zu sehen. Die verwitterten Bretter sind seit Jahr und Tag nicht mehr gestrichen worden. Die Hütte verfällt. Aber die Fenster sind unversehrt, und die Tür ist verschlossen. Auf der schmalen Veranda liegt ein Liegestuhl wie ein verwester Kadaver, die Reste des rot-weiß gestreiften Stoffes sind halb ins Holz eingesunken. Ich habe diesen Liegestuhl nie angerührt. Ich habe ihn immer so liegen lassen, wie ich ihn beim ersten Mal vorgefunden habe, das muss jetzt über zwei Jahre her sein. Ich war oft hier, aber ich habe ihn niemals angerührt. Habe gedacht: Hier kannst du liegen. Als Zeichen dafür, dass niemand herkommt. Falls doch jemand vorbeikommen sollte.
Der Schlüssel liegt unter der Steinplatte. Ich habe ihn dort hingelegt. Ich habe ihn von der flachen Leiste über der Tür genommen, wo er an einem halb eingeschlagenen Nagel hing, und unter die schwere Steinplatte vor der Treppe gelegt. Jetzt wische ich ihm mit einem Hemdzipfel Erde ab. Stecke ihn ins Schloss.
Ich habe eine Schwäche für diese engen kleinen Hütten aus einer anderen Zeit. Ein Zimmer mit einer Kochnische am einen Ende und einer selbstgezimmerten Eckbank am anderen. Ein Tisch mit einem niedrigen Regal darunter, zwei Brettspiele und einige feuchte Illustrierte aus den frühen achtziger Jahren. Hinter einem Vorhang, in den das Bild einer Alpenlandschaft eingewebt ist, gibt es ein enges Schlafzimmer mit einem Etagenbett.
Ich zünde die Petroleumlampe auf dem Küchentisch an und setze mich in das gelbe Halblicht.
Und ein quälender Gedanke überkommt mich. Habe ich mir das hier gewünscht? Im tiefsten Herzen? Habe ich mich vielleicht nach dem Selbstmitleid gesehnt? Ist das Gefühl des Gekränktseins nicht recht süß, wenn man ehrlich ist?
Das Einzige, was feststeht, ist, dass ich oft gesehen habe, wie ich über diesen Strand laufe, nachdem etwas zwischen ihr und mir schiefgegangen ist. Aber war das, was heute Abend passiert ist, Grund genug, oder wurde alles von einer Art destruktivem Zwang ausgelöst?
Gespräche in einem blauen Zimmer. Das Echo einer Stimme.
Du kannst nicht so weitermachen wie bisher
.
Schalte das Telefon ein. Ach großer Gott. Endlos viele SMS. Unbeantwortete Anrufe. Es klingelt fast sofort, ich fahre zusammen.
Aber ich nehme den Anruf nicht an. Ich denke: So kleinlich bin ich. Und fast sofort: Ich bin doch im Stich gelassen worden. Oder etwa nicht? Wie sieht es da drüben jetzt überhaupt aus? Liegt sie in seinen Armen und weint, während er tröstend ihren nackten Körper streichelt? Aber das kann ja nicht sein, da sie mich dauernd anruft, so zynisch ist sie nicht, aber warum sehe ich dann immer wieder dieses Bild vor mir: die beiden nackt zusammen?
Wäre sie imstande, zu…
Aber ich kann Tharald Reine nicht anrufen und sagen, dass es mir gut geht. Sagen, dass niemand sich meinetwegen Sorgen zu machen braucht. Denn erstens ist die Situation ja alles andere als gut. Zum anderen besteht eben kein Grund zur Besorgnis, und warum soll ich dann den Lensmann anrufen?
Mir wird plötzlich schlecht, als das Telefon ein weiteres Mal klingelt.
Ich schalte es wieder aus. Lege es auf den Tisch. Hebe es wieder hoch.
Jetzt hat das Karussell sich in Bewegung gesetzt.
22
Es dauert nicht lange , sich an das Leben an Bord zu gewöhnen. Tom. Es geht schneller, als du vielleicht glaubst. Es ist leicht, sich an den Rhythmus des Schiffes zu gewöhnen. An Rufe und Lachen. An die Schritte des Kapitäns nachts an Deck und an den Gesang der Eingeborenen am Ufer, wenn wir im Dunkeln vorüberfahren. Es tut gut, mit geschlossenen Augen auf der Pritsche zu liegen und sich das Leben dort draußen vorzustellen, die vielen Farben, die vielen Tiere und Pflanzen – von im Schlamm des
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