Den schnapp ich mir Roman
gerade schon wieder umkehren, als sie hörte, wie Henny mit einer seltsam hohen Stimme ihren Namen rief.
»Hi!«, rief sie freundlich zurück. Die gesamte Familie saß auf der Terrasse an einem ovalen Tisch, der vollbeladen war mit verschiedenen Brotsorten und Gebäck, einem Tablett mit Hennys selbst gemachter Konfitüre, Tee und Kaffee. Auf einer Platte türmte sich knusprig gebratener Speck, auf einer anderen lag Rührei, das in der Hitze fast weiterbrutzelte.
»Wie schön, dich zu sehen!«, trillerte Henny mit angestrengter Miene. Die Locken von gestern waren zerdrückt, und sie trug wieder ihren Schlabberlook. »Will sagte, du würdest vielleicht mit uns frühstücken … wirklich nett, dich zu sehen.« Sie schenkte Tessa eine Tasse Kaffee ein und füllte sie halb mit Milch auf, weil sie vergessen hatte, dass Tessa ihren Kaffee schwarz trank.
Tessa ließ sich vorsichtig auf einem Stuhl nieder. Warum benahm Henny sich nur so seltsam, fast hysterisch? Die Familie war ungewöhnlich stumm, aber die Atmosphäre knisterte vor Spannung.
»Wir haben bereits jede Menge Buchungen, auch wenn wir offiziell erst im Januar eröffnen«, sagte Henny aufgeregt und löffelte sich dabei viel zu viel Ingwermarmelade auf ihren Muffin. »Und mehrere Leute haben Interesse an dem Hochzeitspaket gezeigt, sicher wegen Rufus und Clemmie. Ist das nicht wunderbar, Tessa?«
Tessa nickte stumm und kippte den ekligen Milchkaffee ins Gras, als Henny nicht hinsah. Dann schenkte sie sich eine frische Tasse ein und sah sich am Tisch um, um herauszufinden, warum die Atmosphäre im Gegensatz zu sonst so frostig war.
Tristan sah sehr verknittert aus in dem weißen Hemd von gestern und ziemlich löchrigen Combat-Shorts. Er hatte die nackten Füße auf einen Stuhl gelegt. Auf seinen behaarten Schenkeln lag eine von Wills Hochglanzbroschüren. Mit verkniffenem Mund kritzelte er unaufhörlich darin herum. Seinem verspannten Gesicht und den starren Fingern nach zu urteilen war er immer noch sehr aufgebracht über Sophies Auftauchen. Tessa verstand das, auch sie empfand ziemliche Wut auf Sophie, obwohl sie eigentlich nichts mit ihr zu tun hatte. Tristan lächelte sie flüchtig an, senkte aber sofort wieder den Blick auf seine Skizze und fuhr mit wütenden Strichen über das Papier.
Tessas Blick wanderte zu Caro, überrascht, sie nach dem Eklat mit JB überhaupt am Frühstückstisch zu sehen. Überraschenderweise wirkte Caro keineswegs reumütig, sondern eher trotzig. Nein, korrigierte Tessa sich ungläubig: Caro wirkte einfach unzerstörbar. Sie trug einen kurzen roten Kimono, der überhaupt nicht zu ihrem tizianroten Haar passte und ihre weißen Schenkel völlig unbedeckt ließ. Gelangweilt knabberte sie an einem Streifen Toast, als hätte sie nicht eine einzige Sorge in der Welt.
»Ein Croissant?«, fragte sie Tessa nun und bot ihr das Körbchen mit den leckeren Dickmachern an. Tessa hatte einen Bärenhunger, aber wenn sie von Caro ein Croissant entgegennahm, war das, als wäre sie zum Feind übergelaufen. Caro hatte sie bisher nicht gerade freundlich behandelt, ganz im Gegensatz zu Jack, der sich größte Mühe gegeben hatte, sie willkommen zu heißen. Tessa wusste, auf welcher Seite der klar umrissenenen Frontlinie sie stand, und für sie war Caro völlig allein. Sie schüttelte den Kopf.
Caro zuckte die Achseln. »Nein? Geht mir auch so. Ich bekomme morgens auch nichts runter. Dieser Toast schmeckt wie Pappe.« Sie warf ihn zur Seite, als wollte
sie damit andeuten, dass Henny wieder einmal versagt hatte.
»Die meisten Leute streichen ja auch Butter darauf«, schnappte Henny sie an, die Caros abfällige Bemerkungen endlich leid war.
»Das gilt natürlich für dich«, erwiderte Caro und blickte gezielt auf Hennys ausladende Hüften. Und dann, um Henny nicht weiter zuzusehen, wie sie vielleicht in Tränen ausbrach, wandte sie sich mit einem überheblichen Lächeln an Jack. »Das war wirklich gut gestern, nicht wahr? Man kann wirklich sagen, dass alles sehr, sehr erfolgreich war.«
Jack schien sie nicht zu hören. Tessa sah bestürzt, wie niedergeschlagen er aussah. Das passte überhaupt nicht zu seiner üblichen starken, männlichen Ausstrahlung. Die schweren Tränensäcke unter seinen blutunterlaufenen Augen verrieten, dass er nur wenig geschlafen hatte. Er war ein Abbild des Elends. Außerdem hatte er mit einem Riesenkater zu kämpfen, und wenn er das Wasserglas hob, zitterte seine Hand so sehr, das er es kaum an die Lippen brachte. Die
Weitere Kostenlose Bücher