Den schnapp ich mir Roman
Stelle:
»Licht sei dir das Gras auf dem Grab,
Smaragden begrüne es sich,
Dass kein Schatten Übermacht hab
An dem Ort, der …«
Er war nicht sicher, ob Tessa mitbekam, dass seine Stimme brach, denn sie hatte wie schlafend die Augen geschlossen. »Erinnert an dich …«, endete er leise. Schockiert sah er, wie ihr eine Träne über die Wange rollte.
»Scheiße!« Er sprang hoch und beugte sich über sie. »Ich hätte das nicht lesen sollen. Hat Sie das an diesen Schuft von Freund erinnert?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist bloß … so romantisch«,
flüsterte sie mit einem schiefen Lächeln. Dann verzog sie ängstlich das Gesicht und wischte sich die Träne fort. »Ignorieren Sie das. Ich werde einfach ungeheuer sentimental, wenn Worte mich so bewegen.«
Will starrte auf ihre zitternden Lippen und spürte heiße Sehnsucht nach ihr. Tessa war wirklich ein Rätsel. Sie war sehr selbstbewusst und frei, aber sie hatte auch etwas Verletzliches. Darin hatte Tristan Recht gehabt. Will traute ihr immer noch nicht über den Weg. Aber das hatte nichts damit zu tun, dass er sie attraktiv fand. Jetzt schnappte er den feinen Duft von Penhaligon Bluebell auf und hielt den Atem an. Es schien, als wäre Parfüm das einzige Thema, bei dem Claudette und er nicht einer Meinung waren. Sie benutzte gerne ein starkes, schweres französisches Parfum, so subtil wie ein Schlag ins Gesicht, während sie behauptete, englische Duftnoten seien furchtbar altmodisch.
Will streckte eine Hand aus, um Tessa eine Haarsträhne aus dem tränennassen Gesicht zu streichen, und versuchte gleichzeitig, seine Gedanken zu analysieren. Es war Lust, ganz pure altmodische Lust, die er da verspürte und die schon so manchen Mann vom Weg abgebracht hatte. Der Anblick, wie Tessa vor ein paar Wochen in ihrer apfelgrünen Unterwäsche über die Wiese gehüpft war, hatte bei ihm eine erotische Fantasie ausgelöst. Na und? Das bedeutete noch lange nicht, dass er auch Gefühle für sie hatte. Es bedeutete bloß, dass sie sehr attraktiv und ungehemmt war. Da er nun auch ihre intellektuelle Seite kannte, war sie bloß noch gefährlicher für ihn, doch letztendlich verkörperte Tessa alles, was er an Frauen nicht ausstehen konnte. Während Claudette …
Ohne seine Hand zurückzuziehen, dachte Will nun an seine Verlobte. Sie war schön. Elegant. Vornehm. Und auf gewisse Weise auch intellektuell. Sie war vielseitig interessiert. Das hatte er noch nie so bei jemandem erlebt, und
sie hatte einen ausgeprägten Familiensinn. Claudette wusste, wie viel seine Familie ihm bedeutete, und empfand das ähnlich. Das hatte sie im mehrmals versichert. Unfreiwillig wischte Will nun einen Fleck Mascara mit dem Daumen von Tessas Wange. Was war nur mit ihm los? Er hatte eine hinreißende Verlobte, die er liebte und heiraten wollte. Aber Tessa … Sie starrte ihn nun an und riss die Augen auf, als seine Hand unter ihren Nacken fuhr.
Will senkte den Blick auf ihren breiten, sinnlichen Mund und spürte, wie sich in seinen Lenden kräftig Lust regte. Er wollte ihr widerstehen, wusste aber in dem Moment genau, dass ihm das nicht gelingen würde.
Tessa hatte keine Ahnung, was in Wills Kopf vor sich ging. Die Luft war wie elektrisch aufgeladen, aber warum? Sie wusste nur, dass sie betrunken war. Doch dann sah sie, wie süß die kleinen Fältchen um Wills Augen wirkten, und wurde mutiger. Ob er sie küssen wollte? Sicher nicht! Das war doch Will, nicht Tristan … der war doch verlobt … und vertrauenerweckend, loyal … so hieß es jedenfalls. Er war auch sehr berechenbar, oder? Der letzte Mann, der etwas so Wildes und Romantisches tun würde, wie ein Mädchen zu küssen, das er kaum kannte und obendrein noch verabscheute.
Will fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben nicht unter Kontrolle. Er drehte Tessas Gesicht dichter zu seinem Mund. Als er ihre weichen, vollen Lippen spürte und sie sich öffneten, küsste er sie hemmungslos. Zuerst war es ein suchender, langsamer Kuss, der aber innerhalb von wenigen Sekunden immer erregter und hingerissener wurde. Er vergrub seine großen Hände in ihren Locken und riss sie an sich.
Tessa spürte einen Schauder der Lust, der sie von Kopf bis Fuß durchzuckte. Sie schlang einen Arm um seinen Hals und gab sich dem Kuss völlig hin. Das war zwar nicht
vernünftig, aber sie konnte jetzt einfach nicht aufhören. Sie richtete sich auf. Ihre Haut kribbelte vor Erregung, als Will ihr einen Arm um die Taille schlang und nun fast auf ihr lag. Sie
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