Den schnapp ich mir Roman
faltete nervös die austernfarbene Seide zwischen den Fingern und kämpfte gegen ein Gefühl von Übelkeit an. Sie wollte vor Ruby keine Szene machen, die Brautjungfernkleider in tiefen Pflaumen- und Himbeertönen anprobierte. Sie musste stark bleiben und so tun, als machte ihr das alles großen Spaß.
Sollte sie nicht eigentlich aufgeregt sein? Sollte dies nicht ein Tag sein, an den sie sich auf immer erinnern würde? Der Tag, an dem sie in einem fablhaften Kleid herumwirbelte und kreischte: »Genau das ist es!«, schwindlig vor Glück, weil sie es tragen würde, wenn sie den Mann ihrer Träume heiratete? Nur entsprach das überhaupt nicht ihrer Situation. Sophie heiratete nicht den Mann ihrer Träume. Ja, sie heiratete ihren besten Freund, jemanden, den sie sehr, sehr mochte, aber nicht jemanden, den sie zum Umfallen liebte. Gil war ein lieber, netter Mann, aber er brachte ihr Herz nicht zum Jubeln. Nur ein Mann war dazu in der Lage, und von dem hatte sie sich ein für alle Mal getrennt.
»Das steht Ihnen himmlisch«, schmeichelte die Verkäuferin und strich glättend über den Rock. Sie war mittleren Alters und wirkte mit ihrer altmodischen Frisur sehr affektiert.
Sie schien auch kaum ihren Eifer verbergen zu können, ein so teures Kleid zu verkaufen. Die Kleider auf der Stange waren die teuersten im ganzen Laden, und ihr lief jetzt schon praktisch das Wasser im Mund zusammen bei dem Gedanken, den Preis in die Kasse einzutippen. »Es sitzt wirklich perfekt. Hat sich Madam jetzt entschieden?«
»Äh … ich weiß nicht. Ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob es zu mir passt.« Sophie starrte ihr blasses Gesicht im Spiegel an und fragte sich, ob sie abgenommen hatte. Sie war ja immer schon schlank gewesen, schwankte aber zwischen verschiedenen Größen. Vermutlich hatte sie in den letzten Wochen ein paar Pfund abgenommen. Kein Wunder, Tessas Information über Anna hatte bei ihr eingeschlagen wie eine Bombe. Tage später noch hatte sie sich eingeredet, es sei unmöglich und dass das, was sie gesehen hatte, der Wahrheit entsprach. Aber je länger sie darüber nachdachte, desto häufiger dachte sie an Tristan, und ihr dämmerte allmählich, dass sie einen entsetzlichen Fehler begangen hatte. Sie war zwar vor fünf Jahren fortgerannt, hatte aber nur sehr schwer glauben können, dass Tristan sie betrogen hatte. Das Mädchen, das damals bei ihm war, hatte jedoch sehr selbstbewusst und sicher gewirkt. Die Situation war eindeutig gewesen.
Doch jetzt wusste sie, dass dieses Mädchen Tristan nachgestellt hatte und seelisch nicht besonders stabil war, daher hatte die Szene, die sich seit dem Tag ihres Fortlaufens immer wieder vor dem inneren Auge abspielte, eine völlig neue Bedeutung gewonnen.
Mit klopfendem Herzen ließ Sophie sich von der Verkäüferin den Reißverschluss öffnen, damit sie das Kleid ablegen konnte. Tristan hatte sie gar nicht betrogen, er war das unschuldige Opfer in einem von Annas bösen Spielchen gewesen. Er hatte überdies aufgrund der täuschenden
Situation schwer büßen müssen. Wenn Sophie nicht so früh zurückgekommen wäre, um ihm von dem Baby zu erzählen, hätte sie die beiden nicht bei dem gegen Tristans Willen erzwungenen Kuss überrascht. Sie hätte nichts geahnt und ihm am nächsten Tag oder noch später von der Schwangerschaft erzählt. Sie wusste allerdings immer noch nicht, wie Tristan auf die Nachricht reagiert hätte, doch sie war sicher, dass er sich sehr gefreut hätte, denn er liebte Kinder und er liebte sie. Das war jedenfalls damals so.
Irgendwie war sie ungeheuer erleichtert, dass Tristan nicht der Böse war, für den sie ihn gehalten hatte, doch jetzt überwältigte sie der Gedanke, dass sie fünf Jahre ihres Lebens vergeudet hatte. Sie zog ein weiteres fantastisches Kleid aus honigfarbener Seide an, das Gil ausgesucht hatte. Es war im Stil der dreißiger Jahre mit einem Halterneck. Sie musste sich beherrschen, nicht aufzuschluchzen. Sie hasste sich dafür, dass sie an Tristan so gezweifelt hatte. Die Erkenntnis, dass er an der ganzen Geschichte unschuldig war, hatte unglücklicherweise dazu geführt, dass sie sich Hals über Kopf wieder in ihn verliebt hatte. Sofern sie in den vergangenen Jahren überhaupt jemals aufgehört hatte, ihn zu lieben … Sie sehnte sich danach, zu ihm zu eilen, aber alles war sehr kompliziert.
»Madam sehen wirklich in allem hinreißend aus«, bemerkte die Verkäuferin nun aufrichtig, aber recht verdrießlich. »Das hier betont Ihre
Weitere Kostenlose Bücher