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Den schnapp ich mir Roman

Den schnapp ich mir Roman

Titel: Den schnapp ich mir Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasha Wagstaff
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gebadet. Sie blickte sich um. In der Mitte stand ein echt wirkendes neoklassizistisches Sofa mit einem beige und rosa Petit - Point -Bezug und vergoldeten und mit Blumenmustern geschnitzten Rahmen. Darauf lagen Samtdecken und Kissen in satten Farben – ohne Zweifel der Hintergrund für manches seiner Bilder, die in Spezialregalen dahinter aufgereiht standen.
    »Verzeih das Chaos«, entschuldigte sich Tristan und sammelte hastig die Tuben mit Ölfarbe und verschiedene Skizzenblöcke zusammen. »Teufel, ich bin wirklich sehr unordentlich.«
    »Das macht nichts«, lächelte Tessa und blieb am Fenster stehen, um die Aussicht zu genießen. Das Cottage hatte einen freien Blick auf den See mit seiner hübschen Steinbrücke. Das efeugrüne Wasser glänzte wie ein polierter Smaragd.
    »Mach es dir bequem«, rief Tristan, der in der kleinen Küche verschwunden war. »Ich hole uns nur etwas zu trinken.«
Überall in dem Studio standen Gemälde in einer Explosion von Farben: Irisblau, Burgunderrot, Safrangelb. Aber die Farbenpracht passte irgendwie sehr gut zusammen und wirkte nicht aufdringlich. Es waren sehr kühne, starkfarbige Bilder, deren Anblick Tessa sprachlos machte.
    Sie nahm eine kleine Leinwand in die Hand, die auf der Fensterbank lag. Es war das Bild eines jungen Mädchens mit wehenden langen blonden Haaren. Das Mädchen war von Kopf bis Fuß nackt und posierte. Das Gesicht war im Profil zu sehen. Ihr Hals war sehr anmutig geschwungen und wirkte gleichzeitig weiblich und sinnlich. Wer immer dieses Mädchen war, sie schien mit ihrer Körperlichkeit im Reinen. Die helle Haut wirkte vor dem terracottafarbenenen Hintergrund unglaublich zart.
    Tessa legte das Bild zurück und betrachtete verstohlen einige andere Bilder. Abgesehen von ein paar Landschaften schien Tristan sich mehr für Menschen zu interessieren, daher gab es mehrere Porträts und ein paar weitere Nacktstudien. Einige Modelle waren ausgesprochen hässlich. Tristan war offensichtlich eher an dem Kontrast von Licht und Schatten interessiert als an der Schönheit der Modelle. Irgendwie gefiel Tessa dies, denn es war ein erstes Anzeichen dafür, dass Tristan mehr zu bieten hatte als bloß gutes Aussehen und geschickte Hände.
    Auf dem Bild eines alten Mannes waren die erschlaffenden Wangen mit großer Würde dargestellt. Es gab eine rührend-zärtliche Zeichnung des Bauches einer Frau mittleren Alters nach mehreren Geburten. Tessa sah die Skizze eines Jungen, dessen arrogant vorgeschobenes Kinn zu der funkelnden Entschiedenheit in seinen Augen passte. Verdammt, war das der junge Rufus Pemberton? Kaum älter als zwölf Jahre alt, in schlammbespritzten Reithosen und einem zerknitterten Polohemd. Rufus war hier die Inkarnation von Klasse und Reichtum, aber
selbst damals war ihm der Ehrgeiz an den dunkelbraunen Augen abzulesen.
    Die Skizze war recht naiv und grob im Vergleich zu Tristans späteren Werken, denn er konnte zu dem Zeitpunkt kaum älter als acht oder neun gewesen sein. Dennoch war es ihm gelungen, Rufus’ Oberklassen-Selbstbewusstsein genau einzufangen.
    Tristan verlieh seinen Objekten Charakter. Er produzierte keine flachen Bildchen von irgendwelchen Menschen, sondern Persönlichkeiten mit Hintergrund und Substanz. Tessa war zunehmend beeindruckt. Da bemerkte sie einen Stapel Bilder hinten im Raum, die mit einem weißen Tuch abgedeckt waren. Sie hob die Decke an und erkannte auf einem Bild das Mädchen von dem kleinen Gemälde wieder.
    »Einen Moment noch!«, rief Tristan. Er klang gestresst. Dann hörte man einen Knall und ein gedämpftes Plopp . »Schwerer Korken …«
    Tessa ging auf Zehenspitzen zu dem Stapel von Bildern. Sie hob das Tuch weiter an. Es war eindeutig das gleiche Mädchen, das sie am ersten Tag in der Bibliothek von Appleton Manor gesehen hatte. Auf diesem Bild lag sie im Gras. Ein paar Blüten lagen dekorativ verteilt auf ihrem Körper. Sie lächelte wissend, aber gleichzeitig auch jung und unschuldig. Das Kinn hatte sie vorgereckt, um ihr fast perfektes Profil zur Geltung zu bringen. Ihre Nase war klein und stupsig, die vollen Lippen wie dunkle Rosenblätter. Es war eine Farbe, für die viele Frauen ein Vermögen ausgeben müssten, um sie zu erzielen. Ihre Wangen waren rosig angehaucht und wirkten überaus natürlich. Das gebrochene Licht betonte noch die Natürlichkeit ihres Gesichts.
    Ob es sie wirklich gab?, fragte Tessa sich. War dies das Mädchen, das Tristan den Kopf verdreht hatte? Das Mädchen,
das Henny meinte, als sie

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