Den Tod im Griffl - Numbers 3
vorbei.
»Wir sind doch gerade erst angekommen, Adam. Wir bleiben.«
Und so bleiben wir.
Wir sitzen auf Holzklötzen um Daniels Feuer. Sein Wildeintopf ist ziemlich dünn, doch wir haben so lange nichts Vergleichbares gegessen, dass es uns fast überwältigt.
Marty und Luke schlingen den Eintopf runter, dass ihnen die Soße übers Kinn läuft. Sie wischen sie weg und lecken sich lachend die Finger. Niemand sagt ihnen, sie sollen aufhören. Es tut gut, zu sehen, wie sie sich den Bauch vollschlagen und ihre Gesichter von der Wärme glühen. Es sind wunderbare Jungs. Das Feuer, das meine Großmutter tötete, hat auch ihre Mum und ihren Dad genommen. Anfangs waren sie so still und hatten ständig diesen gequälten Blick in den Augen. Sie hassten es, draußen zu leben, wussten nicht, was sie mit sich anfangen sollten, ohne ihre Xbox und Flachbildfernseher. Aber manche Dinge haben wir inzwischen gemeinsam gelernt: wie man Kaninchenfallen aufstellt, wie man Feuer macht. Ich hatte nie Brüder oder Schwestern.
Mia sitzt auf Sarahs Schoß und betrachtet mit ihren großen Augen die vom Feuer erhellten Gesichter: Daniel, seine Lebensgefährtin Carrie und ihre Nachbarn. Es ist, als ob sie versuchen würde, sich an die Menschen zu erinnern.
Ich esse langsam, genieße jeden Löffel und versuche mich auf das Essen zu konzentrieren, nicht auf die Unterhaltung. Das Schulterklopfen und das Getue sind vorbei und ich warte auf ihre Fragen. Die andern reden über das, worüber die Menschen in diesen Tagen immer reden – über Essen, Wasser, Benzin, Kälte, Hunger, Kranksein. Vor allem übers Kranksein. Es beschäftigt auch mich, das kann ich nicht leugnen. Wir mühen uns ab, etwas zu essen zu finden, uns warm zu halten, und es gelingt uns. Doch wenn einer von uns krank wird, was dann?
Die Jungs haben beide gute Zahlen – 21112089 und 03092093 –, aber Zahlen können sich ändern. Mia hat mir das in der Feuernacht, der Erdbebennacht deutlich gemacht. Sie hat jetzt die Zahl meiner Oma. Es macht mich wahnsinnig, wenn ich sie in Mias Augen sehe. Sie wird einen Rauchertod sterben, nach Luft röcheln. Dieser Tod passte perfekt zu meiner Oma – aber jetzt, bei Mia, wirkt er grausam.
Ich kenne die Regeln nicht mehr. Und nicht mal die guten Zahlen trösten mich.
»So schlimm ist es hier nicht«, sagt jemand. »Dan ist Arzt.«
Ich sehe Daniel an. Verdreckter Bart, lange Haare, zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, gelbe Fingernägel. Er sieht nicht aus wie ein Arzt.
»War ich mal«, sagt er und zuckt die Schultern. »Ich hab in einem Krankenhaus in London gearbeitet, bis es von Plünderern überfallen wurde.« Er schüttelt den Kopf. »Man hätte doch gedacht, dass die Menschen vor einem Krankenhaus Respekt zeigen. Aber wir wurden zur Zielscheibe, durchsucht nach Drogen, Vorräten und Metall, das sich einschmelzen ließ. Nach der Schlacht von St Thomas im März 2029 bin ich gegangen. Vierhundert Tote und die meisten meiner Freunde fort. Die Polizei, die Armee, die Regierung – alle haben uns im Stich gelassen. Wo waren sie? Wo, verdammt noch mal, waren sie?« Er unterbricht sich einen Moment. Seine Hände im Schoß zusammengeballt, die Sehnen zwischen Fingern und Handgelenk gespannt wie Draht. Dann holt er tief Luft. »Und, was führt dich hierher?«, fragt er und wendet sich wieder zu mir.
Erste Frage. Alle schweigen und warten auf meine Antwort.
»Wir halten uns bloß bedeckt und ziehen herum«, antworte ich und schaue zu Boden.
»Habt ihr ein bestimmtes Ziel?«
»Nur fort. Fort aus London, fort von den großen Städten. Sind zu viele Menschen dort, ist zu gefährlich.«
»Es gibt Leute, die nach dir suchen, weißt du das? Sie waren hier und haben nach dir gefragt.«
Ich höre auf zu kauen und schaue hoch. »Leute? Was denn für Leute?«
Daniel schüttelt den Kopf. »Sie haben uns keine Namen genannt. Drei Männer auf Motorrädern. Leute, denen man besser nichts verrät.«
Er legt eine Hand auf meine Schulter. Er versucht mich zu beruhigen, aber Berührungen machen mich nervös. Außerdem gehören die Einzigen, die noch Benzin bekommen, zur sogenannten Regierung oder zu den Gangs, die jetzt die Städte kontrollieren.
Ich wurde verhaftet, als das Beben zuschlug, angeklagt für einen Mord, den ich nicht begangen habe. Die Regierung hatte mich auf dem Kieker, sie versuchte mich zum Schweigen zu bringen. Ich hatte gehofft, dass mein Strafregister in dem Chaos gelöscht worden wäre. Aber vielleicht war das doch nicht
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