Den Tod im Griffl - Numbers 3
schon unterwegs, um im Wald nach Essbarem zu suchen.
»Krank«, flüstert sie.
Sofort beuge ich mich zu ihr runter und lege ihr meine Hand auf die Stirn. Sie ist glühend heiß. Ihre Nase ist dicht und sie atmet durch den Mund. Ihr Atem riecht sauer und kränklich.
»Adam, Mia hat Fieber.«
»Scheiße.«
Das ist es, was wir immer befürchtet haben: dass Mia Fieber bekommt.
In der Nacht des Erdbebens – in der Feuerglut – hatte sie eine Art Anfall. Ich sehe noch immer, wie sie in Adams Armen zuckt, draußen vor dem brennenden Haus, die Arme und Beine ganz steif. Das war der Zeitpunkt, als sich ihre Zahl änderte. Sie hätte an diesem Tag sterben müssen – aber Adam hat sie aus dem Feuer geholt und stattdessen war Val, seine Oma, in den Flammen umgekommen. Ihre Zahlen hatten gewechselt. Ihr Schicksal war plötzlich vertauscht. Ich weiß nicht, wie es passiert ist.
Wird das Gleiche wieder geschehen, wenn ihre Temperatur steigt?
»Daniel«, sagt Adam. »Ich hol Daniel.«
Es dauert nur ein paar Minuten, bis Daniel da ist, doch es kommt mir wie Stunden vor.
»Dann wollen wir mal schauen«, sagt er und kriecht ins Zelt. Er zieht ein Stethoskop aus seinem Rucksack und horcht Mias Brust ab. »Nicht so schlimm«, sagt er. Er misst ihr Fieber. »Fast vierzig. Sie kriegt etwas Paracetamol.«
»Hast du welches?« Unsere letzten Vorräte sind schon vor Monaten zur Neige gegangen.
Daniel zieht eine volle Flasche aus einer der Rucksacktaschen. Ich sehe erst die Flasche an, dann ihn. Wie kommt er an eine ganze Flasche? Wir durchsuchen jedes leer stehende Haus, jeden verlassenen Laden, und wenn wir Glück haben, finden wir mal eine Schachtel Tabletten. Aber eine ganze Flasche …
»Ich habe eine Menge … Sachen«, murmelt er verlegen vor sich hin.
»Wie das? Woher?«
Er lächelt. »Die Regierung hat ein Versteck. Du musst nur wissen, wie du drankommst.«
»Und du weißt, wie?«
»Sagen wir mal so, ich hab Kontakte.«
»Zur Regierung?«
Er lächelt wieder, sagt aber nichts.
»Sieht nach einem Virus aus«, erklärt er. »Lasst sie viel trinken und ich gebe ihr alle vier Stunden eine Dosis.« Er kriecht wieder aus dem Zelt.
Adam schaut hinein.
»Er hat Medikamente, Adam«, sage ich. »Er hat eine ganze Tasche voll kleiner Helfer.«
»Ich weiß.«
»Deshalb ist es gut, wenn wir hierbleiben.«
Er seufzt. »Ich fürchte, wir haben keine andere Wahl.«
Ich weiß, es kostet ihn große Überwindung.
»Danke«, antworte ich.
»Aber mach mich nicht dafür verantwortlich, wenn …«
»Wenn was?«
»Keine Ahnung. Wenn alles schiefgeht. Ich komme mir vor …« Er sucht nach den richtigen Worten. »Wie auf dem Präsentierteller«, sagt er schließlich.
»Wird schon nichts passieren. Alles wird gut.« Ich möchte so gern dran glauben.
»Vielleicht«, antwortet er, aber es klingt nicht überzeugt. »Ich mach dann mal Feuer.«
Ich wende mich wieder zu Mia um. Sie ist schon ruhiger.
Ihre arglosen Augen fixieren meine und ihre Zahl dringt in meinen Kopf. Ich sehe keine Zahlen, so wie Adam, doch ich kenne ihre. Adam hat sie mir gesagt. 20022055. Noch fünfundzwanzig Jahre. Besser als die Lebenserwartung, die sie am Anfang hatte, aber trotzdem nicht lang genug. Mir wird schlecht bei dem Gedanken. Meine Tochter kann doch unmöglich schon mit siebenundzwanzig sterben. Das ist doch viel zu früh.
Sie muss eine andere Zahl finden, eine bessere.
Könnte ich ihr meine geben, so wie Val es getan hat? Aber wie? Wie hat sie das gemacht? Wenn es Mia helfen würde, gäbe ich ihr meine sofort. Für Mia würde ich mein Leben geben.
Ihr Haar ist ganz feucht vom Schweiß, dunkler und gelockter als sonst, doch immer noch blond. Es sieht aus wie ein Heiligenschein. Mein einziger Gedanke ist, dass fünfundzwanzig Jahre nichts sind. Ihr Leben, es wird im Handumdrehen vorbei sein.
Ich nehme sie in die Arme. Tränen laufen mir über die Wangen.
Mia hebt ihre feuchtheiße Hand an mein Gesicht.
»Nicht, Mummy. Mummy traurig?«
Ich will sie nicht beunruhigen, aber ich kann nicht aufhören zu weinen.
Ich wünschte, ich wüsste nichts von den Zahlen. Adam hat diesen Fluch in unser Leben gebracht. Es ist nicht seine Schuld, aber jetzt gerade, in diesem Moment, verdamme ich ihn dafür. Ich hasse ihn.
Es ist nicht normal, so was zu wissen.
Es zerstört dich.
ADAM
Als ich Feuer mache, höre ich Sarah schluchzen. Soll ich ins Zelt zurückgehen? Ich warte einen Moment draußen, dann gehe ich fort in den Wald.
Ich kann ihr nicht
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