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Den Toten dienen

Den Toten dienen

Titel: Den Toten dienen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Delrio
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Tauwetter in Russland. Das war schlecht. Sie machte sich keine Illusionen darüber, wie der Boden um Belgorod aussehen würde, sobald das Eis schmolz.
    Die volle Stunde brach wieder an, und ein langweilig aussehender Sprecher, dessen Kopf und Schultern den Schirm fast völlig ausfüllten, verlas die wichtigsten Meldungen. Als kleines Kind hatte Bishop einmal eine Geschichte über eine Hexe gelesen, die einen Schrank voller Köpfe hatte, und Tri-vid-Nachrichtensprecher brachten diese Erinnerung immer wieder zurück. Das Buch hatte ihr wochenlange Albträume beschert.
    Der Ton des Geräts war heruntergedreht. Es dauerte fast eine Minute, bis die Worte des Sprechers in ihr Bewusstsein drangen.
    »Neue Einzelheiten von der Sprungpunktstation über die Identität des unbekannten Schiffes, das vor mehreren Stunden materialisiert ist: Mehrere Landungsschiffe haben sich abgekoppelt und nehmen Kurs auf Terra. Auch diese Schiffe haben sich trotz Aufforderung bisher nicht identifiziert...«
    »Verdammt!« Sie kippte den Rest Glen Grant he-runter und rannte fast hinaus ins Foyer. Unterwegs zog sie ihr Komm aus der Tasche. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie den unauffälligen Mann, der dasselbe tat und dabei dieselbe Hektik an den Tag legte wie sie.
    Ich frage mich, mit wem, zum Teufel, der redet?, dachte sie, während sie mit dem Daumen die Privatnummer der Countess eintippte. Falls sie nicht erreichbar ist, bleibt mir keine Wahl. Dann muss ich rauf zum Penthouse und an die Tür hämmern. Aber Tara Campbells vertraute Stimme meldete sich schon nach dem ersten Klingeln. »Ja?«
    Bishop ignorierte den scharfen Tonfall, der sie warnte, ja nicht die Zeit der Präfektin zu verschwenden. »Countess, die Stahlwölfe sind gerade aus dem Sprung gekommen und im Anflug auf Terra.«
    Hotel >Duquesne<, Genf, Terra Präfektur X, Republik der Sphäre
    Aprii 3134, Frühling
    Ezekiel Crow schlief unruhig in seinem Bett im Hotel >Duquesne<. Seit er Northwind verlassen hatte, hatte er nicht mehr ruhig geschlafen, und der Grund dafür waren zweifellos seine Träume.
    Er hatte wiederkehrende Albträume über einen Feind, dessen Gesicht er nicht sah, der ihm durch Szenen von Krieg und Verwüstung aber auf den Fersen blieb: die Massengräber von Chang-An, nachdem die capellanischen Truppen die Stadt vergewaltigt hatten; die Straßen der Hauptstadt Northwinds, an allen Plätzen und Kreuzungen von grimmigen Highlanders verteidigt, die zwischen dem Hammer der Stahlwölfe und dem Amboss von Jack Farrells Söldnern in der Falle saßen; die friedlichen Straßen von Genf, seit Jahrhunderten unberührt vom Krieg, unbeschadet geblieben selbst im Heiligen Krieg der Blakisten, von frischem Blut besudelt. Er besuchte sie alle jede Nacht, und immer befand sich auch die Schattengestalt dort.
    In den Bildern lag mehr Wahrheit als Paranoia. Auch tagsüber plagten ihn düstere Gedanken. Wer auch immer die losen Fasern seiner Vergangenheit gebündelt und neu verwoben hatte, er hatte sich diese
    Mühe sicher nicht für einen einzelnen Akt der Erpressung gemacht, egal, wie verheerend dessen Folgen auch gewesen sein mochten. Crows Feind war nicht damit zufrieden gewesen, das Vertrauen zu zerschlagen, das zwischen ihm und der Countess of Northwind gewachsen war - das Vertrauen und alles Gute, was daraus erwachsen war. Dazu hätte es genügt, die Beweise direkt an Tara Campbell zu schik-ken.
    Stattdessen hatte sein Feind dafür gesorgt, dass Crow selbst Taras Vertrauen zerstört hatte.
    Das allein schon reichte aus, um ihn davon zu überzeugen, dass es dem Schatten nie darum gegangen war, Anastasia Kerensky Northwind in die Hände zu spielen. Der Sieg der Stahlwölfe war nur ein Bonus gewesen, falls er überhaupt irgendeine Bedeutung gehabt hatte. Dagegen war er, Ezekiel Crow, ehemals Daniel Peterson vom Planeten Liao, von Anfang an das wirkliche Ziel gewesen.
    In den dunklen Stunden der Nacht war Crow gezwungen zuzugeben, dass der Schatten wirklich ausgezeichnete Arbeit geleistet hatte. Auf Northwind hatte er einen so gründlichen Sieg errungen, dass Crow jetzt den verzweifeltsten Kampf seines Lebens focht - einen Kampf um seine Karriere, um seinen Ruf, um seine komplette Identität -, auch wenn auf Terra niemand außer ihm etwas von diesem Kampf wusste.
    Es überraschte Crow keineswegs, dass er Zielscheibe so konzentrierten Hasses war. Möglicherweise war das sogar unvermeidlich, nachdem ihm jemand das Einzige genommen hatte, das seine Vergangenheit all die Jahre sicher

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