Den Toten dienen
zwangen ihn zu einem gehetzten und maulwurfartigen Dasein. Er verließ die Lagerhalle nur nachts und begab sich auch nur in die Stadtteile, in denen das Gesetz nicht zählte und sich niemand um Ähnlichkeiten scherte oder nach Namen fragte. Tagsüber blieb er in dem schummrigen, ungeheizten Hangar. Seine einzigen Informationen über den Verlauf der Krise erhielt er, indem er im Cockpit des BattleMechs die Kommfrequenzen abhörte.
Er hätte nie damit gerechnet, dass Schande und Entehrung so langweilig sein konnten.
Nun, da das Schlimmste eingetreten war, beherrschte nicht mehr die Angst sein Leben, sondern verzehrender Frust. Er hatte seine alte Identität in den Trümmern Chang-Ans begraben und sich zu einem Mann gewandelt, dessen einziges Ziel im Leben darin bestanden hatte, der Republik zu dienen und zu kämpfen. Und jetzt wurde Terra zur Zielscheibe der größten Bedrohung, die er je erlebt hatte, und er konnte nichts, absolut gar nichts tun, außer die Funkfrequenzen nach aktuellen Meldungen abzusuchen und den Unbekannten, der ihm das angetan hatte, zu verfluchen.
Genau das tat er auch, als das Rundrufsignal ertönte. Er hörte halb wütend, halb neidisch zu, als Anastasia Kerensky mit der Countess of Northwind eine Schlacht um den Besitz Terras arrangierte - und zwischen zwei Atemzügen fand er in einer plötzlichen Eingebung die Lösung.
Er schaltete das Funkgerät des Mechs auf Rundruf und sprach ins Mikro.
»Anastasia Kerensky! Hier spricht Ezekiel Crow, Paladin der Sphäre. Ich fordere Sie heraus, den Zweikampf zwischen uns, der im vergangenen Jahr im Tiefland von Tara seinen Anfang nahm, zu beenden.«
So, dachte er. Kerenskys Arroganz würde ihr nicht gestatten, diese Herausforderung zu ignorieren.
Im vergangenen Jahr hatte er sie vor Tara besiegt, indem er einen Blitz vom Himmel gelockt und die Elektronik ihres Mechs geröstet hatte. Falls es ihm gelang, sie noch einmal zu besiegen, konnte er zwar nicht seinen guten Namen wiederherstellen; dafür war es zu spät, selbst wenn es ihm gelang, der Invasion der Stahlwölfe mit einem Schlag das Herz herauszureißen. Aber er konnte zumindest erreichen, dass der Exarch und die Republik tief genug in seiner Schuld standen, um ihm einen ehrenhaften Rückzug ins Privatleben zu ermöglichen.
Und falls er unterlag... Nun, auch das würde all seinen Problemen ein Ende bereiten.
Wieder ertönte das Rundrufsignal, aber es war nicht Anastasia Kerenskys Stimme, die ihm antwortete. Es war die Tara Campbells.
»Ezekiel Crow, Sie verdammter Verräter! Wenn Sie gegen Anastasia kämpfen wollen, müssen Sie erst mich besiegen. Diese Schlacht gehört mir!«
Bevor er sich sammeln und antworten konnte, hörte er Anastasia Kerensky lachen. War die Frau verrückt?
»Countess, Paladin«, meldete sich Kerensky immer noch kichernd. »Das müssen Sie unter sich ausmachen. Der Sieger kommandiert die Highlanders. Und dann kämpfen wir.«
Nahe Belgorod, Terra Präfektur X, Republik der Sphäre
April 3134, Frühling
Tara Campbell ging über die weite Ebene zu ihrem Tomahawk. Die Frühlingsluft war kühl, der Regenschauer des vergangenen Nachmittags längst versik-kert, und die Morgensonne ergoss sich strahlend über Felder, die von silbernem Reif bedeckt waren. Nicht mehr lange, und das Eis würde schmelzen. In der Mittagshitze würde sich der Boden wieder in Schlamm verwandeln.
Die Linien der Stahlwölfe in der Ferne waren ihr egal. Sie hatte ihre Gründe, Kerenskys Herausforderung anzunehmen, hatte mit Jonah Levin und Daniel Redburn debattiert und gewonnen. Sowohl der Paladin als auch der Exarch hatten sie für ihre Waghalsigkeit getadelt, aber zugleich waren sie beide Realisten. Letztlich würde der Kampf um Terra auf eine Machtprobe zwischen zwei Heeren hinauslaufen, ganz gleich, ob man die Entscheidungsschlacht arrangierte oder sie dem Kriegsglück überließ. Anastasia Kerensky hatte bereits Teile ihrer Streitkräfte ausgeschickt, um Terras reguläre Verteidiger in ihren Stützpunkten anzugreifen und zu binden, aber sie selbst und der größere Teil der Stahlwölfe befanden sich hier.
Taras Argumentation war simpel gewesen: Es war besser für die Zivilbevölkerung, wenn sich der Kampf in den Weiten Russlands austobte statt in den friedlichen Straßen von Genf. Redburn und Levin hatten widerwillig zugestimmt, und jetzt stand einer letzten Abrechnung mit den Stahlwölfen für das, was sie auf Northwind angerichtet hatten, nichts mehr im Weg.
Nichts außer Ezekiel
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