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Denk doch, was du willst

Denk doch, was du willst

Titel: Denk doch, was du willst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Havener
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seither kontrovers diskutiert. Einige sprechen von einer regelrechten Epidemie, während andere meinen, dass alles halb so wild gewesen sei. Belegt ist eine zweistellige Anzahl von Selbstmorden, die mit dem Buch direkt in Verbindung zu bringen waren. Teilweise hatten sich die Selbstmörder genau wie Werther im Buch gekleidet: blauer Frack, gelbe Weste, gelbe Kniehosen, Stiefel und grauer Hut. Genau dieselbe Bekleidung trägt der Goethe-Darsteller übrigens auch die meiste Zeit in «Goethe!». Dieser Film ist für mich wieder einmal ein guter Beweis dafür, dass die deutschen Regisseure sehr gute Filme machen können. Aber zurück zum Thema: Manche Selbstmörder hatten noch das Buch in der Hand.
    Der Begriff «Werther-Effekt» war 1974 von dem amerikanischen Soziologen David Phillipps eingeführt worden. Er hatte die Berichterstattung über Selbstmorde bekannter Persönlichkeiten und deren Auswirkung auf die Suizidrate auf die Bevölkerung untersucht. In sämtlichen vonihm herangezogenen Fällen konnte er einen Anstieg feststellen.
    In den achtziger Jahren lief im deutschen Fernsehen der Mehrteiler «Tod eines Schülers». In sechs Folgen wurde hier aus verschiedenen Blickwinkeln die Vorgeschichte des Suizids eines Schülers erzählt. Die Selbstmordrate unter Fünfzehn- bis Neunzehnjährigen nahm nach der Ausstrahlung um hundertfünfundsiebzig Prozent zu. Nach der Wiederholung stieg die Suizidrate erneut um hundertfünfzehn Prozent an. Unfassbar! Sogar in den USA stieg nach entsprechenden Medienberichten innerhalb von zwei Wochen die Zahl der Selbstmorde um dreißig Prozent an. Besonders, sobald von Prominenten und Sympathieträgern und deren Schicksal berichtet wurde, bemerkte man den deutlichen Einfluss. Zum Beispiel stieg in den USA die Selbstmordrate auch nach dem Tod von Marilyn Monroe um zwölf Prozent.
    Aus diesem Grund bittet sogar der Deutsche Presserat in seinen Statuten um Zurückhaltung, wenn es um die Berichterstattung über Selbstmorde geht. Je mehr Details an die Öffentlichkeit getragen werden, desto mehr Nachahmer gibt es. Das weiß man mittlerweile. Deshalb werden in den Zeitungen in der Regel nie Namen, Orte und Begleitumstände genannt. Das ist die dunkle Seite der sozialen Bewährtheit. Ähnlichkeit ist also ein Faktor, der hier eine große Rolle spielt. Die zweite Größe ist – wie wir gleich sehen werden – Unsicherheit.
    Ein Absatz, der Leben retten kann
    Das ist laut Robert B.   Cialdini die vielleicht wichtigste Erkenntnis, die aus seinen Forschungen abzuleiten ist: Das Prinzip der sozialen Bewährtheit zielt auf die Tatsache ab, dass sich Menschen immer an dem orientieren, was ihr Umfeld tut. Genau das ist auch der Grund, warum es möglich ist, dass Menschen auf offener Straße oder in S-Bahnen zu Tode geprügelt werden oder plötzlich einen Herzinfarkt bekommen, ohne dass sich jemand darum kümmert. Das Paradoxe an dieser Situation: Je mehr Leute Zeuge eines solchen Ereignisses sind, desto geringer ist sogar die Wahrscheinlichkeit, dass jemand eingreift. Alle schauen nur auf die Reaktion der Mitbeobachter. Wenn niemand couragiert ist und beherzt die Initiative ergreift, passiert somit überhaupt nichts. Das liegt aber nicht am mangelnden Mitgefühl oder ist gar Bosheit – nein, der Grund ist allein in der Unsicherheit der meisten Menschen zu sehen, die sich mit so einer Situation überfordert fühlen. Sobald ein Einzelner aktiv wird, ist das Eis gebrochen, dann fällt der erste Dominostein. Plötzlich helfen viele andere auch mit.
    Ich wünsche keinem meiner Leser, je in eine derart bedrohliche Situation zu kommen, falls Sie aber wirklich mal auf einer belebten Straße in Schwierigkeiten geraten, kann Ihnen genau die Erkenntnis – dass die unterlassene Hilfeleistung auf purer Unsicherheit beruht – aus möglichen Schwierigkeiten heraushelfen. Der Trick besteht darin, erst gar keine Unsicherheiten aufkommen zu lassen. Angenommen, Sie bemerken in der S-Bahn , dass Ihnen ganz komisch wird, dann sprechen Sie aus der Menge der Mitfahrenden eine Person gezielt an. In aller Regel wird die sich sofort verantwortlich fühlen und aktiv werden. Sie weiß nämlich,dass sie gemeint ist. Das muss in jedem Fall klar sein. Sagen Sie also am besten: «Sie in der roten Jacke mit den blonden Haaren, ich brauche Ihre Hilfe, weil ich das Gefühl habe, gleich zusammenzubrechen. Bitte rufen Sie einen Krankenwagen.» Mit dieser Vorgehensweise können Sie alle eventuellen Unsicherheiten aus dem Weg räumen.

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