Denkanstöße 2013
sich anzusehen, wobei die Spitze seines Stocks roten Staub der llano- Erde aufwirbelte, die erst am Tag zuvor gelockert worden war. »Wie viele wirst du pro Hektar anpflanzen, Oto?«
»Nur dreiundvierzig«, erwiderte Otoniel Carreño. »Hundert weniger als bei einer Monokultur. Dadurch bekommen die Setzlinge viel Sonne und haben genügend Platz zu wachsen â und es bleibt Raum für spätere Gesellschaft.«
»Excelente«, dröhnte Paolo. »Der Ackerbau der Zukunft wird in der Kunst bestehen, Licht zu nutzen. Und er wird eine Polykultur sein«, fügte er hinzu und deutete mit seinem Aluminiumstock auf die erstaunliche botanische Pracht um uns herum.
Wir standen in einem Wald an jenem Ort, der vor fünfundzwanzig Jahren noch eine monotone baumlose Ebene gewesen war. Mehr als zehn Jahre waren seit meinem letzten Besuch vergangen. Förster Otoniel, der trotz seines grauer gewordenen Schnurrbarts in seiner Jeans und dem weiÃen Hemd mit dem gelb-grünen Gaviotas-Logo auf der Brusttasche noch immer schlank und fit aussah, war der lebendige Beweis dafür, wie gesund dieses Leben im Freien war. Gaviotas-Gründer Paolo Lugari, inzwischen Mitte sechzig, schien so rastlos zu sein wie eh und je, auch wenn er sich etwas langsamer fortbewegte, nachdem er sich vor ein paar Jahren auf einer rutschigen StraÃe in Bogotá mehrere FuÃknochen zertrümmert hatte. Doch während die Menschen in einer ganz normalen Geschwindigkeit alterten, hatte der Wald von Gaviotas sein ureigenes Tempo angenommen.
Er war beinahe schon wieder um die Hälfte gröÃer als beim letzten Mal und hatte sich über weitere 3000 Hektar ausgebreitet. Am erstaunlichsten war jedoch, dass einheimisches Laubwerk die ursprünglich dort angepflanzten Kiefern zu verschlucken drohte. Jakaranda, Birkenfeigen, yopos, Regenbäume, tunos blancos, Lianen, Lorbeerbäume und verschiedene Farne verdeckten beinahe die ordentlichen Reihen von Pinus caribaea. Die Anpflanzung sah viel eher aus wie ein wilder Wald. Und das war sie auch: Nicht nur Rehe, Ameisenbären und Wasserschweine lebten dort, auch Tapire waren hier oft zu sehen, und gelegentlich sogar ein Puma.
Wurden die Kiefern von der Konkurrenz durch primordiale Arten erdrückt, die im Schatten ihres Unterholzes gesprossen waren, überlegte ich.
»Im Gegenteil«, erwiderte Otoniel. »Durch diese Pflanzenmischung ist der Boden einfach besser geworden. Die Kiefern wurden 1983 angepflanzt. Als du das letzte Mal hier warst, haben wir gerade Harz gezapft. Sie sind weiter gewachsen â manche sind über 30 Meter hoch. Sie sind so robust, dass sie jetzt wieder angezapft werden können.«
Nur dass die Harzzapferteams von Gaviotas im Moment Kilometer weit weg waren, um flüssigen bernsteinfarbenen Harz von reifen Bäumen zu ernten, die ich als kleine Setzlinge in Erinnerung hatte, kleiner als diese Palmen. Es würde vielleicht Jahre dauern, bis sie sich wieder dieses Waldstück vornehmen würden, sagte Otoniel. In der Zwischenzeit seien sie dabei, hier etwas Neues auszuprobieren. Mithilfe eines Pflugs, von ihnen speziell hierfür entworfen, hatten sie einen breiten Streifen einheimischen Unterholzes entfernt, gemulcht, den Mulch in den Boden eingearbeitet und Afrikanische Ãlpalmen gepflanzt. Sie waren sich sicher, dass diese Palmenart â die nun überall in den Tropen wegen des Speiseöls und in letzter Zeit auch wegen des Biokraftstoffs angebaut wurde â so wie ihre erstaunlich produktiven Kiefern viel besser zwischen anderen Pflanzen wachsen würde, die den Boden mit natürlichen Nährstoffen anreicherten.
Das Ganze wirkte eindeutig natürlicher als die künstlich gedüngten Monokulturen, über die ich vor Kurzem auf meinem Weg nach Gaviotas hinweggeflogen war. Beginnend bei den Ostausläufern der Anden, hatte ich Anpflanzungen Afrikanischer Ãlpalmen gesehen, die sich über Tausende Hektar erstreckten und Flächen bedeckten, die vor zehn Jahren noch Viehweiden gewesen waren. Aber waren nichteinheimische Afrikanische Palmen â und übrigens auch Biokraftstoffe â eine gute Idee? Wurden nicht mit schockierender Geschwindigkeit tropische Wälder und Ackerland geopfert, von Indonesien bis Afrika und Kolumbien selbst, um Platz zu schaffen für exotische Energiepflanzen?
»Së, bestätigte Paolo. »Es gibt keine Rechtfertigung dafür, auch nur
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