Denkanstöße 2013
Lernen führt meist nur noch zu einer beschränkten Sprachkompetenz, die charakteristischerweise mit einem Akzent behaftet ist.
Die Schulen gehen ganz offensichtlich davon aus, dass das Sprachenlernen mit zunehmendem Alter leichter wird. Demzufolge gibt es je höher die Klasse, umso mehr Fremdsprachenunterricht.
Diese Annahme stimmt â aber nur für den analytischen Spracherwerb. Eine Sprache wirklich gut zu lernen, geht umso besser, je kleiner das Kind ist â sofern die Sprache kindgerecht vermittelt wird. Wenn wir unsere Kinder wirklich sprachkompetent machen wollen, dann müssen wir im frühen Alter beginnen und den Unterricht als Immersionslernen gestalten. Mit dem Alter nimmt die Fähigkeit zum synthetischen Spracherwerb ab- und diejenige zum analytischen Spracherwerb zu. So sind die Regeln der Grammatik und Syntax für die meisten Kinder bis ins Alter von 10 oder 12 Jahren ein Buch mit sieben Siegeln. Erst in der Oberstufe begreifen die meisten â aber längst nicht alle â Schüler die formalen GesetzmäÃigkeiten der Sprache.
Ein sprachbegabter Journalistenfreund von mir hatte in seiner Schulzeit Englisch, Französisch, Latein und Russisch gelernt. Nach dem Studium ging er nach China und lernte Chinesisch, anschlieÃend wurde er in ein arabisches Land geschickt und sprach alsbald Arabisch und Hebräisch. Als ich ihn kennenlernte, war er mit 40 Jahren gerade Korrespondent für Schwarzafrika geworden, und natürlich dauerte es wieder nur ein halbes Jahr, bis er gut Kisuaheli sprach. Irgendwann machte ich mit ihm auch einen Tschechisch-Kurs. Nachdem ich mich dort schon monatelang geplagt hatte, kam er in seine erste Stunde und las und übersetzte vom Blatt.
Solch beneidenswerte Menschen gibt es. Sie haben sich die Fähigkeit des synthetischen Spracherwerbs über die Pubertät hinaus bewahrt. Sie sind eine kleine Minderheit, der ich fürs Leben gern angehören würde. Sie eignen sich eine Sprache wie die Kinder in der alltäglichen Kommunikation weitgehend akzentfrei an, ohne Vokabeln und Grammatik büffeln zu müssen. Weshalb eine Minderheit die Fähigkeit des synthetischen Spracherwerbs nicht verliert, ist meines Wissens nicht bekannt. Evolutionsbiologisch macht der Verlust des synthetischen Spracherwerbs insofern Sinn, als die Menschen dadurch der Lebensgemeinschaft, in der sie aufgewachsen sind, eher erhalten bleiben.
Musizieren, konsumieren und träumen
Kinder sind vielseitig. Sie basteln und malen, spielen Lieder auf der Flöte und bezaubern ihre Eltern beim Schülertheater. Auch wenn sie nicht herausragend begabt sind, sind sie doch meist vielfältig zu interessieren. Wenn sie in die Pubertät kommen, wird das anders. Einige wenige Jugendliche entwickeln ein echtes Talent. Sie schreiben mit 15 Jahren ihren ersten Fantasy-Roman, gründen eine Musikband oder entdecken das Theater. Fehlt den Jugendlichen jedoch die groÃe Leidenschaft, dann betätigen sie sich kaum noch musikalisch oder anderweitig künstlerisch.
Jugendliche sind auf der Suche nach sich selbst und dem, was aus ihnen einmal werden wird. Wenn sie ein Talent bei sich entdecken, ist das eine groÃe Befriedigung. Sie entfalten ihr Talent oft explosionsartig. Musische Aktivitäten hingegen, die Jugendliche bloà zum Zeitvertreib oder nur unter elterlichem Druck betrieben haben, werden in der Pubertät fallen gelassen. Dann hängen die Jugendlichen lieber mit Gleichaltrigen herum oder hören Musik.
Musikalische Höchstleistungen gibt es schon im Kindesalter. Mehr als bei allen anderen Künsten tummeln sich bei musikalischen Talentwettbewerben Kinder. Reift das musikalische Talent besonders schnell? Wie entwickelt es sich überhaupt, und was passiert in der Pubertät?
Ich glaube nicht, dass musikalische Begabungen besonders rasch heranreifen, auch kommen sie nicht häuï¬ger vor als andere musische Begabungen. Sie werden jedoch stärker wahrgenommen. Echte Begabungen sind die Extreme der normalen Variabilität und daher per deï¬nitionem selten. Ausgesprochen selten ist eine Begabung, wie sie bei Amadeus Mozart vorlag. Er war fähig, sich eine zweistündige Oper anzuhören und danach aus dem Gedächtnis alle Stimmen und Instrumente niederzuschreiben. Die musikalische Begabung hat viele Facetten. Es gibt Menschen, die ein Instrument spielen, aber nicht tanzen oder singen und solche, die ein groÃes
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