Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
auf den Fleck unter der Brust, wo der Dolch seinen tödlichen Stoß vollbringen könnte. Die
Freundin ahnt Schlimmes angesichts der funkelnden Augen, die sie so begeistert anblicken.
Diese Geschichte hat uns Bettine von Arnim überliefert. Bei der Person mit den gefährlichen Ideen handelt es sich um die von
ihr so sehr bewunderte und geliebte Karoline von Günderrode. Wozu würde diese Frau fähig sein? Zwar ist Bettine von Arnim
allerhand exzentrische Gedanken und Taten gewöhnt von ihr, was ihr bisher gefallen hat, ist sie selbst doch ebenfalls keine
Anhängerin von Langeweile und Alltagstrott. Aber hier scheint Karoline nun doch entschieden zu weit gegangen zu sein. Bettine
wird zum ersten Mal unheimlich zumute beim Zusammensein mit der Freundin.
Karoline von Günderrode wird am 11. Februar 1780 in Karlsruhe geboren. Sie ist die Älteste von sechs Geschwistern. Vier Schwestern werden in den Jahren 1781 bis
1784 geboren, der Bruder Hektor 1786. Wurzeln der Adelsfamilie lassen sich bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen. Das kulturelle und literarische Engagement hat in dieser Familie immer eine große Rolle gespielt.
Karolines Großvater beispielsweise, der 1713 geborene Geheimrat und Oberamtmann Johann Maximilian Freiherr von Günderrode,gründete eine bedeutende Bibliothek. Der Vater Hektor Wilhelm von Günderrode ist Hofrat und Kammerherr am Karlsruher Hof,
verfasst aber nebenher historische Biografien sowie geschichtswissenschaftliche und staatsrechtliche Schriften. In seinem
Charakter wird die Spannung, die zu dieser Zeit innerhalb der Gesellschaft herrscht, besonders deutlich. Er besitzt den kritischen
Geist der Aufklärung und bleibt dennoch den Werten seines Standes verhaftet. Er fühlt sich unfrei bei Hof und möchte trotzdem
einem Fürsten dienen. Dem Adel gehört er bewusst an, fühlt sich aber nicht mehr so ganz wohl dabei. Dieser Zwiespalt ist typisch
für die Zeit des so genannten aufgeklärten Absolutismus.
Auch die Mutter, Louise von Günderrode, greift gern zur Feder und beschäftigt sich zudem mit Philosophie. Sie ist begabt und
vielseitig gebildet, wie es für Frauen des Adels und des Bürgertums seit der Mitte des 18. Jahrhunderts üblich ist. Dass Louise von Günderrode neben der Führung des Haushalts und der Erziehung der Kinder überhaupt
Zeit findet zum Lesen und Schreiben, ist allerdings erstaunlich, denn noch immer ist die erste Pflicht der Frau, ihrem Mann
eine treu sorgende Gattin und den Kindern eine gute Mutter zu sein. Daneben darf sie sich auch mit Lesen, Schreiben und ein
wenig Musizieren beschäftigen. Eine ganz und gar ungebildete Gattin ist dem Mann nicht zuzumuten, aber zu lebendig und ungebunden
sollte der Verstand sich nicht gebärden.
Über die frühe Kindheit Karoline von Günderrodes weiß man wenig. Der Vater stirbt bereits 1786 an Schwindsucht, woraufhin
die Mutter mit den Kindern nach Hanau zieht. Obwohl Louise von Günderrode nicht arm ist, beginnt mit dem Tod des Gatten der
soziale Abstieg. Derberufliche Erfolg des Mannes und das damit verbundene gesellschaftliche Ansehen fehlen nun. Man tritt sozusagen auf der Stelle
und ist abhängig vom Wohlwollen der Gesellschaft. Hanau ist zu jener Zeit ein aufstrebender Kurort, in dem es sich gut leben
lässt und der nicht geizt mit allerhand kulturellen Zerstreuungen. Die Mutter bekommt eine Stelle als Hofdame beim Landgrafen
Wilhelm von Hessen. Das ist wichtig für sie und die Familie, bedeutet aber, dass Karoline als ältestes Kind die meiste Zeit
des Tages allein für ihre Geschwister verantwortlich ist.
Die Beziehung zwischen Karoline von Günderrode und ihrer Mutter ist kühl. Louise hält sich gern außerhalb der Familie auf.
Auch erzählt man sich von einem Verhältnis mit einem Hauslehrer. Von einem starken geistigen Einfluss der Mutter auf die Tochter
kann nicht die Rede sein. Die beiden stehen sich eher fremd gegenüber.
Als Karoline von Günderrode vierzehn Jahre alt ist, stirbt ihre Schwester Louise wie der Vater an Tuberkulose. Karoline hat
sie bis zu ihrem Tod gepflegt. Was das für ein junges Mädchen bedeutet, kann man gut nachvollziehen. Diese frühe Auseinandersetzung
mit dem Sterben wird ihren weiteren Lebens- und Denkweg prägen. Bei der Pflege hat sie sich ein Augenleiden zugezogen, das
sie bis zu ihrem Tod begleiten wird, zeitweise verbunden mit heftigen Kopfschmerzen. Die Tuberkulose ist ein weitverbreitetes
Übel. In den
Weitere Kostenlose Bücher