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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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bereits 1763 wurde er verhaftet und verbannt. Beauvoir bewundert diese Auflehnung gegen eine heuchlerische
     Gesellschaft und den Kampf des Einzelnen für die individuelle Freiheit. Auch sie glaubt nicht an eine allgemein verbindliche
     Moral. Was sie bei de Sade allerdings vermisst, ist eine Theorie des Handelns. Er war ein Privilegierter, musste nicht ums
     tägliche Brot kämpfen und hatte Muße, sich seinen Neigungen zu überlassen. »Für ihn gab es nur eine Alternative: entweder
     die abstrakte Moral oder das Verbrechen. Die Tat kannte er nicht.« 21 Beauvoir aber hat seit dem Krieg die Notwendigkeit des Handelns eingesehen. Die reine Reflexion kann ihr nicht mehr genügen.
     Ihr Denken ist endgültig zu einer
philosophie engagée
geworden.
    Obwohl Beauvoir sich immer als »gute« Französin verstand, der das Wohl ihres Landes am Herzen lag, freut sie sich 1954 über
     die Niederlage der Franzosen im Algerien-Krieg, den sie als ungerecht empfunden hatte. Beauvoirs Engagement ist jetzt noch
     stärker auf die Tagespolitik bezogen, zu der sie in
Les Temps Modernes
Stellung nimmt. Sie schreibt gegen Folter und Krieg und gegen die Allmacht der Armee. Auch an Kongressen nimmt sie teil und
     marschiert bei Demonstrationen mit. 1955 besucht sie mit Sartre zusammen China, beobachtet auch hier scharf und stellt ausgiebige
     Studien über dieses Land an. Ihr Urteil über das China Maos fällt positiv aus. Sie schreibt über diese Reise eine Reportage.
     
    Im Jahr 1959 beginnt Beauvoir mit einem weiteren großen Projekt: ihrer Autobiografie. Nachdem sie sich ein Jahr zuvor von
     Claude Lanzmann getrennt hat, fühlt sie mit Schrecken das Alter herannahen, und dem will und musssie etwas entgegensetzen. Im Aufschreiben des eigenen Lebens sieht sie ein Abenteuer, das letzte schöpferische Abenteuer ihres
     Daseins, und einen Neuanfang. Minutiös wird sie in den folgenden Jahren all das niederschreiben, was ihr wichtig war, detailgenau,
     von einem fast manischen Streben nach Vollständigkeit erfasst. Sie stellt sich in den Mittelpunkt des jeweiligen Geschehens
     und bleibt damit ihrer Philosophie treu: Im Zentrum steht das Individuum, das sich bezieht auf die Welt und auf die anderen
     Menschen, beobachtend, nachdenkend, urteilend, handelnd. So stellt Beauvoir auch sich selbst dar und so können ihre LeserInnen
     sie kennen lernen. Für eine Frau ist das ein besonders mutiges Unternehmen, und Beauvoir straft damit all jene Lügen, die
     bis heute behaupten, sie sei nie wirklich selbstständig gewesen, nie aus dem Dunstkreis Sartres herausgekommen. Gerade der
     erste Band, die
Memoiren einer Tochter aus gutem Hause,
worin sie ihre Kindheit und Jugend beschreibt, liefert einen lebendigen Beweis der frühen Begabung für die Philosophie, die
     sich auch ohne die Begegnung mit Sartre Bahn gebrochen hätte.
    Immer hat Beauvoir in die Zukunft hineingelebt und in sie hineingedacht. Als sie den dritten Band der Memoiren mit dem Titel
Der Lauf der Dinge
beendet hat, ist sie fünfundfünfzig Jahre alt und sieht sich bereits jetzt mit Tod und Sterben konfrontiert. »Ich hasse mein
     Spiegelbild: über den Augen die Mütze, unterhalb der Augen die Säcke, das Gesicht zu voll, und um den Mund der traurige Zug,
     der Falten macht. Die Menschen, die mir begegnen, sehen vielleicht nur eine Fünfzigjährige, die weder gut noch schlecht erhalten
     ist. Sie hat eben das Alter, das sie hat. Ich aber sehe meinen früheren Kopf, den eine Seuche befallen hat, von der ich nicht
     mehr genesen werde.« 22
    Beauvoir hat nicht mehr die Freiheit, einen neuen Lebensplan zu entwerfen. Sie fühlt sich schwach und unfähig, die nun beginnende
     Phase einfach zu akzeptieren. Dennoch nimmt sie mit der Zeit die Herausforderung an und reflektiert in den nächsten Jahren
     über das Alter. Ihr Anliegen ist es, über die eigene Betroffenheit hinauszugehen und das Problem unter allgemeineren Aspekten
     zu untersuchen. Im Jahr 1970 erscheint ihr Buch
Das Alter.
In der Philosophiegeschichte steht sie damit nicht allein da. Bereits Cicero hat eine Schrift verfasst mit dem Titel
Über das Alter.
Darin wird der alte Mensch als reife Persönlichkeit beschrieben, die froh ist, endlich nach langer Seefahrt in den Hafen einlaufen
     zu können.
    Für Beauvoir sieht die Situation jedoch ganz anders aus. Nicht die Ruhe ist ihr Wunsch, sondern nie erlahmende Aktivität.
     »Wollen wir vermeiden, dass das Alter zu einer spöttischen Parodie unserer früheren Existenz wird, so

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