Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Arbeit am Schreibtisch wird immer wieder durch Reisen unterbrochen. Von Januar bis Mai 1947 ist sie mit Sartre in
den USA unterwegs und legt ihre Erfahrungen in einem Reisebuch nieder:
Amerika – Tag und Nacht.
Ihr Blick auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist ein kritischer. Sie zeigt sich zwar tief beeindruckt von der Größe
und dem Reichtum des Landes, bemerkt aber in geistiger Hinsicht vielfältige Mängel. So fällt ihr der extreme Antikommunismus
auf und sie stößt auf Gleichmacherei und Arroganz.
In den USA beginnt Beauvoir eine Affäre mit dem Schriftsteller Nelson Algren. Die Beziehung dauert bis 1951. Der »Pakt« mit Sartre sieht die Freiheit beider Partner vor. Sartre hat immer wieder Liebesbeziehungen, für Beauvoir ist es
die erste wirklich ernsthafte Leidenschaft seit der Begegnung mit ihrem Lebenspartner. Verlassen möchte sie ihn aber nicht.
Zwar ist es nicht so, dass sie Sartres Seitensprünge immer ohne Eifersuchtsgefühle tolerierthätte, und doch ist die Bindung zu ihm so stark, dass es nie zum Bruch kommt.
Beauvoir ist nicht nur rational bestimmt. Manchmal meldet sich ihre Emotionalität ungehemmt, auch wenn sie sich das nicht
gerne zugesteht. Nach der endgültigen Trennung von Algren schreibt sie beispielsweise: »Im Taxi, im Zug, im Flugzeug und abends
in New York bei einem Disney-Film, in dem Tiere einander auffressen, weinte ich unaufhörlich.« 19 Beauvoir bleibt Nelson Algren freundschaftlich verbunden, er jedoch macht sie vor anderen schlecht und bezeichnet sie als
»alte Jungfer«. Die Art von Unabhängigkeit in der Liebe, die Beauvoir und Sartre propagieren, widerspricht seiner Ansicht
von einer absoluten Liebesbeziehung. Er will die Frau seines Lebens nur für sich.
Die Politik lässt Beauvoir nicht zur Ruhe kommen. Die Zeit des »Kalten Krieges« zwischen den USA und der UdSSR hat begonnen;
Beauvoir und Sartre wollen sich für keinen der beiden Blöcke entscheiden. Sartre sieht aber für sich nur einen Weg: sich dem
Marxismus anzuschließen, ohne jedoch auf kritische Äußerungen zu verzichten. Zunächst wittert Beauvoir die Gefahr einer zu
starken Vereinnahmung Sartres durch die Marxisten, lässt sich aber schließlich eines Besseren belehren.
Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Beauvoirs Meinung übt der fünfundzwanzigjährige Claude Lanzmann aus, der neuer
Mitarbeiter bei
Les Temps Modernes
ist und 1952 Beauvoirs Geliebter wird. Der Altersunterschied beträgt immerhin siebzehn Jahre. Da Sartre ebenfalls eine neue Liaison eingegangen
ist, verläuft alles recht harmonisch, man macht gemeinsame Reisen und trifft sich auch sonst häufig im Viererkreis.
Lanzmann unterstützt Beauvoir bei der Arbeit am Roman
Die Mandarins von Paris,
den sie 1945 begonnen hatte. Es wird wieder ein philosophischer Roman, in dem sich Beauvoir vor allem auseinandersetzt mit
der Rolle der Intellektuellen in der Gesellschaft. Die Handlung spielt in der Nachkriegszeit und die beherrschenden Themen
sind wieder die Freiheit des Sichwählens und die Verantwortung, die der Einzelne für sein Handeln zu übernehmen hat. »Was
man damals den ›Zusammenbruch der Résistance‹ nannte, hatte ich als eine persönliche Niederlage empfunden, als die siegreiche
Wiederkehr des bürgerlichen Regimes. Mein Privatleben war stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Unter lärmenden Zusammenstößen
oder in aller Stille waren die Feuer der Freundschaft, die nach Beendigung der Besetzung rund um mich her loderten, mehr oder
weniger erloschen.« 20
Die Zeit der Résistance war für Beauvoir insofern »spannender«, als damals wirklich jeder sein Gesicht zeigen konnte. Denken
und Handeln waren nicht getrennt, man musste jederzeit bereit sein und eine Wahl treffen. Nun ist die Welt wieder weniger
durchschaubar. Man kann sich so und so entscheiden, die Dinge von verschiedenen Seiten betrachten. Es gibt keinen eindeutigen
Feind, gegen den es zu kämpfen gilt. Für diesen Roman wird Beauvoir mit dem angesehenen Prix Goncourt ausgezeichnet.
Zur gleichen Zeit arbeitet Beauvoir auch wieder an einem Essay:
Soll man de Sade verbrennen?
Was sie an de Sade interessiert, ist sein Kampf gegen die Theorie einer allgemeinen Natur des Menschen und einer Moral, die
für alle gelten soll. De Sade, der das Verbrechen im Inneren des Menschen verankerte und vor allem die Sexualität in Zusammenhang
damit brachte, kam 1777 für seine Thesenins Gefängnis,
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