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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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Entweder–oder. Das könnte man
     als Motto über ihr Leben setzen. Entweder die Wahrheit oder der Tod.
     
    Simone Weils Stammbaum lässt sich nicht sehr weit zurückverfolgen. Ihr Großvater väterlicherseits war Kaufmann in Straßburg.
     In dieser zauberhaften elsässischenStadt mit dem prächtigen Münster kam auch der Vater, Bernard Weil, zur Welt. Seine Eltern waren streng religiös ausgerichtet,
     ganz im Gegensatz zu den Eltern von Simones Mutter, Salomea Weil. Salomea, die Tochter von künstlerisch veranlagten Freidenkern,
     die ihr Judentum nie besonders ernst nahmen, kam aus Rostow am Don. Sie war sehr musikalisch, aber vor allem praktisch begabt.
     Seit 1902 lebte sie in Paris, wo sie auch ihren späteren Mann kennenlernte. Was genau Salomea gemacht hat, ob sie eine spezielle
     Ausbildung erhielt, ist aus den spärlichen Quellen nicht zu erschließen. Bernard jedoch wählte die medizinische Fakultät der
     Universität und wurde Arzt. 1905 heirateten die beiden.
    Bernard und Salomea haben bereits einen drei Jahre alten Sohn, als Simone am 3.   Februar 1909 in Paris geboren wird. Sie ist eine Frühgeburt und während der ersten Monate ihres Lebens kränklich. Als überaus
     anmutig und »liebreizend« wird sie beschrieben, darüber hinaus erfahren wir über ihre Kindheit nur wenig.
    Die Eltern sind sensible, warmherzige Menschen und führen eine harmonische Ehe, in der es wenig Streit gibt. Da die Religion
     für sie keine große Rolle spielt, bleibt ihren Kindern das Judentum fremd. Dass den Eltern der Zusammenhalt in der Familie
     wichtig ist, beweist das Verhalten des Vaters während des Ersten Weltkriegs: Er wird eingezogen und nimmt seine Frau und die
     Kinder von Garnison zu Garnison mit. Hier liegt einer der Gründe, warum die Geschwister eine sehr enge Beziehung zueinander
     entwickeln. Sie sind die meiste Zeit zusammen, André bringt seiner Schwester sogar das Lesen bei, was seinen Vater freudig
     überrascht. Außerdem lernt Simone durch ihren Bruder viele Märchen und Sagen kennen. DieMärchen wirken sich sehr prägend auf ihre Lebensanschauung aus. Besonders hat es ihr
Frau Holle
angetan. Dass jemand, der Bescheidenheit übt und hart arbeitet, umso reicher beschenkt wird, gibt der Vorstellungskraft des
     Mädchens reiche Nahrung.
    Die Bilderwelt der Märchen beeinflusst die Entwicklung Simone Weils nachdrücklich. Vor allem der Kampf zwischen Gut und Böse
     beeindruckt sie. Das Gute und die Frage nach dem richtigen Weg, um ein guter Mensch zu werden, werden später die Hauptthemen
     ihres Philosophierens sein.
    Von der dreijährigen Simone wird erzählt, sie habe, als ihr eine Cousine einen Ring schenken wollte, geantwortet: »Ich mag
     keinen Luxus.« 2 Normalerweise wünschen sich Kinder mit drei Jahren mehr, als sie bekommen können, und denken nicht daran, freiwillig auf
     etwas zu verzichten. Simone Weil ist eine Ausnahmeerscheinung, das ist schon frühzeitig zu erkennen.
    Gemeinsam mit ihrem Bruder betritt sie aber nicht nur die Welt der Märchen, sondern auch die der Mathematik und der Naturwissenschaften.
     Diese Hobbys bleiben für die Kinder nicht ohne Folgen: Die intensive Beschäftigung mit der Biologie bewirkt, dass beide zum
     Beispiel eine riesige Angst vor Bakterien entwickeln. André wäscht sich ständig die Hände und öffnet und schließt die Türen
     mit dem Ellenbogen, um nicht mit Bakterien in Kontakt zu kommen. Simone wehrt sich gegen Umarmungen und gegen manche Speisen.
     Hier gibt es bereits Hinweise auf einen Charakterzug, den sie nie ablegen wird: den Wunsch, »rein« zu sein, alles zu verneinen,
     was beschmutzt und ihren strengen moralischen Vorstellungen widerspricht.
    Durch diese für ein Kind bereits sehr hohe Reflexionsebene ist Simone Weil vorbereitet auf die Krise, in die sie in der Pubertät
     stürzt. Vielleicht kann man ja im Leben jedes Philosophen und jeder Philosophin ein Erlebnis ausmachen, das als Initialzündung
     wirkt. René Descartes zum Beispiel erzählt von drei Träumen, die ihn eines Nachts heimsuchten und ihm Hinweise gaben darauf,
     was denkerisch auf ihn zukommen würde.
    So etwas Ähnliches erlebt Simone Weil im Alter von vierzehn Jahren. Die Frage nach dem Sinn ihres Lebens und des Lebens überhaupt
     lässt sie nicht mehr los. Ihre ganze Person, Denken und Emotionalität, werden in den Strudel dieser existenziellen Fragen
     hineingezogen. Nichts anderes mehr kann Simone Weil interessieren und nichts kann sie aus diesem Zustand

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