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Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Titel: Denken hilft zwar, nutzt aber nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Ariely
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Feld. Doch halt! War der Receiver mit beiden Beinen drin? Auf der Videoleinwand sah es knapp aus, der Kommentator bittet um eine Wiederholung der Szene. Sie wenden sich an Ihren Freund:»Schau dir das an! Was für ein super Catch! Er war ganz drin. Warum zeigen sie es überhaupt noch mal?« Ihr Freund sieht Sie finster an. »Der war komplett draußen. Ich kann gar nicht glauben, dass der Schiedsrichter es nicht gesehen hat! Du bist ja total verrückt, zu glauben, der war drin!«
    Was ist hier passiert? War Ihr Freund und Fan der Giants Opfer seines Wunschdenkens? Machte er sich vielleicht etwas vor? Schlimmer noch, log er? Oder hatte die Loyalität zu seinem Team – und die Erwartung des Sieges – seine Urteilsfähigkeit komplett, wirklich und wahrhaftig und zutiefst getrübt?
    Darüber dachte ich nach, als ich eines Abends durch Cambridge zum Walker-Memorial-Gebäude des MIT schlenderte. Wie konnten zwei Freunde – zwei ehrliche Kerle – ein und denselben Steilpass so völlig unterschiedlich wahrnehmen? Ja, wie konnten überhaupt zwei Parteien ein und dasselbe Ereignis, dem sie beiwohnten, so interpretieren, dass damit ihre jeweils gegensätzliche Sicht untermauert wurde? Wie konnten Demokraten und Republikaner angesichts derselben leseunfähigen Schulkinder so völlig entgegengesetzte Positionen einnehmen? Wie konnte ein streitendes Paar die Ursachen für seine Auseinandersetzung so unterschiedlich sehen?
    Einer meiner Freunde, der als Auslandskorrespondent einige Zeit in Belfast verbrachte hatte, schilderte mir einmal ein Treffen mit Mitgliedern der IRA, das er arrangiert hatte. Während des Gesprächs kam die Nachricht, dass der Anstaltsleiter des Gefängnisses in Maze, in dessen schäbigen Zellen viele IRA-Funktionäre einsaßen, umgebracht worden sei. Verständlicherweise nahmen die IRA-Mitglieder, die sich um meinen Freund scharten, die Nachricht mit Genugtuung auf – sozusagen als Sieg für ihre Sache. Die Briten sahen die Angelegenheit natürlich in völlig anderem Licht. Am nächstenTag ergingen sich die Londoner Zeitungen in wütenden Kommentaren, man forderte Vergeltung. Ich bin Israeli und daher vertraut mit sich aufschaukelnder Gewalt. Die Gewalt ist Alltag, und wir halten kaum jemals inne und fragen uns, warum das so ist. Wie kommt es zu Gewalt? Ist sie eine Folge der Geschichte? Sind Rassismus oder Politik die Ursache, oder gibt es in uns etwas fundamental Irrationales, das den Konflikt fördert – etwas, das dazu führt, dass wir je nach Perspektive ein und dasselbe Ereignis völlig unterschiedlich beurteilen?
    Auf der Suche nach einer Antwort auf diese tiefgreifenden Fragen, nach den Wurzeln dieser menschlichen Verhaltensweise, beschlossen Leonard Lee, Professor an der Columbia University, Shane Frederick, Professor am MIT, und ich, eine einfache Versuchsreihe durchzuführen. Wir wollten herausfinden, wie einmal gewonnene Einstellungen unsere Sicht trüben. Zuerst machten wir einen einfachen Test, in dem weder Religion noch Politik und nicht einmal Sport als Indikatoren dienen sollten, sondern – ein Glas Bier.
     
    Um in das Walker-Gebäude zu gelangen, muss man eine Reihe breiter Stufen zwischen hohen griechischen Säulen erklimmen. Wenn man drinnen ist und sich nach rechts wendet, betritt man zwei Räume mit Teppichen aus der Zeit der Erfindung des elektrischen Lichts, dazu passenden Möbeln und einem Geruch, der Alkoholkonsum, ganze Packungen Erdnüsse und angenehme Gesellschaft verheißt. Willkommen im Muddy Charles, einem der beiden Kneipen des MIT, dem Ort für unsere Testreihe in den nächsten Wochen. Wir wollten wissen, ob die Erwartung der Gäste, eine bestimmte Sorte Bier zu bekommen, die Beurteilung des Geschmacks beeinflusste.
    Lassen Sie mich das näher erläutern. Eines der Biere, die den Gästen des Muddy Charles angeboten werden sollten,würde ein Budweiser sein, das zweite war eines, das wir liebevoll MIT-Bräu nannten. Was ist ein MIT-Bräu? Im Wesentlichen ebenfalls ein Budweiser, aber mit einem »geheimen Zusatz« – 20 Tropfen Balsamico-Essig auf ein kleines Bier (0,3 l). (Einige MIT-Studenten fanden, das Budweiser verdiene nicht die Bezeichnung »Bier«; deshalb verwendeten wir bei allen folgenden Tests Sam Adams – eine Sorte, die von Bostonern schon eher als »Bier« akzeptiert wird.)
    Gegen sieben Uhr am Abend hatte Jeffrey, ein Informatikstudent im zweiten Jahr, das Glück, im Muddy Charles vorbeizuschauen. »Darf ich Ihnen zwei kleine Gläser Bier zum Probieren

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