Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
übersiedelte. Karoline Pichler empfing von nun ab seltener und gab nur mehr kleine Gesellschaften (II, S. 227), denn sie hatte bereits das Bedürfnis nach Ruhe und Scheu vor neuen Bekanhtschaften^). Die Blütezeit ihres Salons war vorüber, was jetzt folgte, hielt keinen Vergleich mit dem früheren aus.
Das Salonleben im übrigen Wien hatte sich immer mehr verflacht und war zum geistlosen Getändel herabgesunken. Während früher die gemischten Gesell-
^) Vgl. ihren Aufsatz „Über die Art der geselligen Untefhal-tungen" im Taschenbuch „Huldigung den Frauen" (I, [Leipzig 1823], S. i5off., bes. S. I52ff.) und eine Stelle in einem Brief an Th. Huber vom 6. März 1819 (K. Glossy, Grillp. Jb. HI, S. 284).
2)SPichler, ebd. I, S. 157ff. — Denkwürdigkeiten H, S. 85f. (i8i6)\92f. (1816), i3of. (1817), i3if. (1818).
^) Bri6^ an Therese Huber vom 6. Dezember 1825 (K. Glossy, Grillp. Jb. ni, S. 336): „Je älter ich werde, desto mehr fühle ich das Bedürfnis größerer Ruhe und Stille um mich — und suche mich sachte von zu vielen Geschäften und Bekanntschaften zurück-zuziehen. Gleichförmigkeit des Lebens, Vermeidung aller zu nahen Berührungen, außer denen, die die Natur mir auferlegte, und Stetigkeit der Verhältnisse, das sind die Hauptbedingungen meiner Zufriedenheit."
Schäften, wo Männer von Geist mit gebildeten Frauen, die ihre Handarbeiten während der Unterhaltung för-derten, gerne und oft verkehrten, an der Tagesordnung waren ^), zogen sich die Männer zu Ende der zwanziger Jahre immer mehr zurück. Das Tabakrauchen, die Ängst-lichkeit vor der Polizei und der aufkommende Luxus nötigten sie dazu 2). Eine förmliche Umwälzung brachte aber die Julirevolution nicht nur im täglichen, sondern auch im geselligen Leben^). Die Gesellschaften, wie sie Karoline Pichler im dritten Teil ihrer „Zeitbilder" schilderte, waren nunmehr Durchgangsorte; auf der einen Seite strömten die Gäste zu, auf der anderen Seite verschwanden sie, ohne Abschied zu nehmen. Geistloses Geplauder, konventionelle Redensarten bil-deten ihren Inhalt ^) und es ist begreiflich, daß K. Pich-ler, die an etwas anderes gewöhnt war, diese Gesell-schaften floh (II, S. 308), ebenso begreiflich aber, daß die jungen Literaten diese Art Geselligkeit, die ihnen nichts bot, mieden und im literarischen Kaffeehaus^) sich einen Mittelpunkt schufen. Wir begreifen aber auch, daß Lenau und Bauernfeld an der althergebrachten Geselligkeit, wie sie im Hause Pichler herrschte, keinen Gefallen fanden und auf Nimmerwiedersehen ver-schwanden (II, S. 311), denn sie waren jung und stür-mend, Karoline Pichler aber alt und konservativ; für jene ging der Stern ihres Ruhmes auf, während der der Hausfrau niedersank. Zwei Welten, die sich nicht
1) Denkwürdigkeiten II, S. izyf., 308, 381.
2) Denkwürdigkeiten II, S. 606: 567 (Tabakrauchen). — Brief an K. Streckfuß vom 26. Jänner 1828: K. Glossy, Wiener Commu-nal-Kalender, XXXII, S. 414.
2) Denkwürdigkeiten II, S. 381 ff., 606: 566. ^) Neuners silbernes Kaffeehaus; vgl. darüber Jean Charles, Wien und die Wiener. Stuttgart 1840, S. 78 ff.
überbrücken ließen, standen einander gegenüber. Wenn Karoline Pichler in ihrem konservativen Sinn die alte Geselligkeitsform, wie sie noch immer bei ihr herrschte, der ein Kreis gebildeter, wenn auch älterer Damen „einen noch erhöhteren Reiz" gab^), lobend pries, so hatten aber auch die Jungen, die unter sich sein und von gebildeten älteren Damen nichts wissen wollten, auch wenn damit ihre Sitten Schaden litten (II, S. 309), von ihrem Standpunkte aus recht, wenn sie der Welt verkündeten, daß die ästhetischen Gesell-schaften für Wien nichts seien. Ihr Sprachrohr, Jean Charles (Karl Johann Braun Ritter von Braunthal), ein von sich selbst sehr eingenommener junger Mann, der von Karoline Pichler meinte, daß sie im Roman nicht ohne alles Verdienst sei^)^ rief einmal aus^): „Selbst die edleren Vereine dieser Art passen für das geistige Leben so wenig, daß _ man auch ihrer nicht schonen soll: so belächelt denn der Wiener nicht minder die ästhetischen Soireen bei Hammer, Pereira^) und der Frau von Pichler, in denen sich doch Poeten von bedeutenden Namen einfinden." Diese Art der Ge-selligkeit war eben überlebt, versteinert, schuf keine neuen Werte mehr; sie konnte künstlich nicht erhalten werden und mußte mit dem Tode derer, die in ihrem Banne aufgewachsen waren und auch aus Ruhebedürf-nis sie festhielten, verschwinden, da der Nachwuchs fehlte.
Weitere Kostenlose Bücher