Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
übten sich in Deklamationen (I, S. 261, 539), im Theaterspiel (I, S. 297, 565: 488f.), das Regierungsrat Pichler leidenschaftlich liebte, hielten Musikabende ab (I, S. 265, 283f.; II, S. 114 u. ö.) und waren glühende Patrioten, die den Fall ihres Vaterlandes aufs tiefste bedauerten und den Empor-
1) Becker, a. a. O., S. 41; Alexandrine Baronne du Montet, Souvenirs. Paris 1904, S. 79.
kömmling Napoleon mit der ganzen Glut ihrer feurigen Seelen haßten ^). In diesem Kreise wurden die nationalen Stoffe, die ermunternd und anfeuernd auf das gesunkene Volksbewußtsein wirken sollten, gepflegt und hier kamen der Staatsgedanke, der damals allen Öster-reichern tief in den Knochen saß, und der glühende Patriotismus wiederholt zum Ausbruche, besonders als Körner in Wien weilte (I, S.405). Pichlers Salon war damals, wie Eugen Guglia in seiner trefflichen Ab-handlung „Gesellschaft und Literatur im alten Öster-reich (1792—1825)" richtig bemerkte, eine „Muster-schule für künftige Staatsbeamte" 2) und setzte damit die Tradition des Greinerschen Kreises fort (I, S. 168). Während aber der Salon ihrer Mutter im Zeichen der Aufklärung stand, Haschka hier seine fanatischen An-klagen gegen Papst und Mönchstum vorbringen konnte, steht .Karoline Pichlers Salon bereits unter dem Ein-fluß der Romantik. Wenn sie, als aus der klassischen Schule hervorgegangen, auch sonst gegen die roman-tischen Ideale und Lehrsätze sich auflehnte (I, S. 264, 300ff.), so konnte sie sich doch dem Einflüsse der na-tionalen und später der religiösen Wiedergeburt, wie sie die Romantik lehrte, nicht entziehen. Österreichs schwere Bedrängnis hatte im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts das nationale Gefühl in ihr ausgelöst, ihr Blick wandte sich von der sorgenvollen Gegenwart der Vergangenheit zu und da die Not beten lehrt, so hatte auch Karoline Pichler durch den Krieg und be-sonders durch den Tod ihrer Mutter (1815) ihren reli-
^) Über Pichlers Franzosenhaß vgl. man Denkwürdigkeiten I. S. 278!, 348!., 611 Anm. 606.
2) Österreichische Rundschau. Hg. von Anton Edlinger, I, (Wien 1883), S. 718.
giösen Halt wiedergefunden (II, S. 6i ff.), der sie den Blick nach oben wenden hieß. Das Jahr 1815 führte sie endgültig (II, S. 83 f.) in den Kreis derer um Fried-rich und Dorothea von Schlegel, welche die Ideen des Redemptoristen Klemens Maria Hoff-bauer, der ebenso wie Zacharias Werner das religiöse Leben in Wien einer neuen Glanzzeit zuführen wollte^), vertraten. Obwohl ein Feind des katholischen Ultra-montanismus, fand Karoline Pichler hier in diesem Kreise aber doch so viele gleichgestimmte Wesen, welche Gedanken, die schon lange tief in ihrer Seele schlummerten und die sie im „Agathokles" schriftstelle-risch verwertet hatte, offen zum Ausdrucke brachten. Ihre tief religiöse Natur konnte sich dem Banne dieses Kreises nicht entziehen, daher man bei ihr von nun ab nicht nur feine Sitten lernen, sondern auch der Re-ligion zugeführt werden konnte (II, S. 464: 163).
Als die Befreiungskriege und die Not der Zeit vor-über waren und Wien im Taumel des Kongresses stand, wo Vergnügen auf Vergnügen folgte und ein neues Sündenbabel sich auftat, da ging es auch in Karoline Pichlers Salon lebhaft zu 2), doch alles bewegte sich in ruhigen, gemessenen Bahnen. Während das ganze gesellige Leben in den nächsten Jahren einen völligen Umschwung durchmachte, eine Fülle und Mannig-faltigkeit von Genüssen verlangt wurde, da alles der Zerstreuungssucht huldigte, an allem rasch vorüber-gleiten wollte, sich dabei aber herzlich langweilte, blieb Karoline Pichler dem alten Grundsatze, daß die Ge-
^) Vgl. den interessanten Aufsatz von Eugen Guglia, Religiöses Leben in Wien 1815 bis 1830. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. München 1891, Nr. 128 f.
2) Denkwürdigkeiten II, S. Sgf., 46, 48!., 53!.
selligkeit Freude schaffen soll, getreu^). Bei ihr gab es keinen Prunk, keine Vorträge von Künstlern, keine starken Reize, sondern wie in alter Zeit 2) musikalische und deklamatorische Genüsse, einfache Erfrischungen, prunklose Nikolaus- und Weihnachtsbescherungen, vor allem aber ging man bei ihren Abendgesellschaften, alter Sitte gemäß, bereits um lo Uhr auseinander, während die modernen Gesellschaften meist erst nach 11 Uhr ihren Abschluß fanden. So blieb es, trotz dem Zuspruche vieler Fremder, bis zum Jahre 1824, wo ihre Tochter, die lange Zeit der jugendliche Anzie-hungspunkt der Gesellschaft war, Wien verließ und nach Prag
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