Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
eine mehr als gewöhnliche Bildung und vielseitigen Unterricht — teilte ich denn auch meine Liebe und Verehrung für den Seneca mit. Sowie er fleißig an seinen Lucilius schreibt, und jedem Briefe eine kleine Gabe, irgend-eine Sentenz, einen Gedanken als eine Frucht seiner Lektüre anderer Autoren beifügt, so schrieb auch ich Josefinen oft aus einem Hause in das andere (denn wir wohnten nahe)^^^) bogenlange Briefe über alle kleinen Vorfälle, die sich mit mir ereigneten und fügte dem Briefe einen Spruch des Seneca bei, von welchem oft der ganze Brief nur eine Erläuterung war.
Ich stand damals, wie ich glaube, auf einem Wende-punkte meines Lebens, wo das fröhliche Mädchen sich
) In Blumauers Äneis.
von der ernsten Jungfrau scheidet. Und wenn dies bei mir vielleicht etwas später als bei andern, nämlich erst im 20,, 21. Jahre geschah, so muß ich bemerken, daß eine sehr gesunde körperliche Konstitution (ich war eigentlich nie krank gewesen), ein leichtes Blut, ein lebhafter und doch klarer Geist, eine unvertilg-bare Anlage zur Frömmigkeit und eine im ganzen glückliche äußere Lage mir von jeher viele Heiterkeit und Lebensfreudigkeit erhalten hatten. So war ich lange dem Frohsinn und der Empfänglichkeit für ge-ringe Freuden nach ein glückliches Kind geblieben, als ich schon mehr als halb zu den erwachsenen Mäd-chen gehörte, so erhielt eben dieser Frohsinn sich auch noch bei reiferen Jahren in mir und hat mich tief ins Alter begleitet. Gott sei dafür gedankt !^^^^)
Dieser Frohsinn war aber jener ernsten Richtung meines Geistes, die dieser jetzt zu nehmen anfing, nicht im geringsten hinderlich, vielmehr fand er seine Rech-nung auf gewisse Art noch besser dabei. Denn wenn jene strengeren Ansichten derStoa^'), wenn die groß-artige Denk- und Empfindungsart der römischen Klassiker mich viele, bisher von mir und andern meines Geschlechts geschätzte und gesuchte Dinge in ihrer eigentlichen Nichtigkeit erkennen ließen, so lernte ich durch eben diese Bücher auch, mich über vieles, was andere betrübte, beruhigen. Mir erschien eine höhere Weltordnung; ich konnte mich mit meinen Hoff-nungen und Erwartungen jetzt leichter über die Be-dingungen unsers irdischen Seins erheben. Die Ruhe, mit der ich, selbst in früheren Jahren, an den Tod gedacht hatte, begründete sich mehr und mehr, und jene Ansichten, die späterhin Schiller in zwei Versen so unübertrefflich schön und wahr ausgedrückt hat:
Das Leben ist der Güter höchstes nicht, Der Übel größtes aber ist die Schuld ^''^);
entwickelten sich, nicht so klar und erschöpfend, wie dieser erhabene Dichter sie ausspricht, aber doch in bestimmtem und unbestimmtem Anklängen in meiner Seele. Sie ließen mich Glück und Unglück, Leben und Tod, Gegenwart und Zukunft in ernsten, aber heitern Beziehungen sehen, und benahmen selbst dem Tode immer mehr seine Schrecken, denn er war ja, wie Seneca sagt: „der Geburtstag der Ewigkeit"^^.
Die Natur hatte von jeher lebhaft an mein Gemüt gesprochen, jetzt fühlte ich mich immer mehr zu ihr hingezogen; Herders Ideen, von denen ich zu-vor gesprochen, Bonnets Betrachtungen über die Natur^^^); ein kleines Buch, das vielleicht wenige kennen: La chaumiere indienne von Bernardin de St. Pierre (aus dem Michel Beer seinen Paria ge-schöpft) 2^°), öffneten mir gleichsam das geistige Auge, um die Wunder der Natur zu erkennen und sie in ihren geheimnisvollen Beziehungen auf uns und unser Ver-halten zu betrachten. Damals faßte ich die erste Idee zu den Gleichnissen^^^). Wenn ich einsam, aber recht seelenvergnügt durch den weitläufigen Garten meiner Eltern wandelte, wenn ich an Gott dachte, seine Gegenwart zu fühlen glaubte und dann meinen Blick auf Blumen, Gräser, Bäume richtete, dann traten allerlei seltsame und, wie es mir vorkam, geheimnisvolle Beziehungen zwischen der körperHchen und sittlichen Welt mir vor Augen, und der Gedanke, daß ähnliche Gesetze in beiden regierten, ergriff mich mit großer Gewalt. Ich versuchte es, ihn darzustellen, und so entstanden die Gleichnisse, die ich damals, weit ent-fernt, an die Bekanntmachung einer so unbedeutenden
Kleinigkeit zu denken, bloß meiner Freundin Josefine zugedacht und in einer reinlichen Abschrift mit einer D6dicace in Versen ihr übergeben hatte.
Es ist vielleicht hier der Ort, mich auch über meine Ansichten von der Freundschaft auszusprechen. Sie waren denen der Alten nachgebildet, und folglich streng und vv^ürdig. Mir galt die Freundschaft als ein
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