Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
gegangen, ehe sie einige Ruhe fand; aber nebst dem Glauben kam ihr der Stolz zu Hilfe. Unerträglich war mir der Ge-danke, die Rolle der Verlassenen vor der_Welt zu spielen und dem Wankelmütigen den Triumph zu gönnen, daß sein Verlust mich kränken könne.
Damals dichtete ich verschiedene Lieder, die aber niemand zu sehen bekommen durfte. — Das eine be-gann also:
Wie still ist alles um mich her! Es ruht die Nacht mit ihrem Schatten Auf diesen farbenlosen Matten; Kein Wild regt sich im Haine mehr, Des Vogels Haupt ist unterm Flügel, Von ferne rauscht der Felsenbach, Und in den Eichen dieser Hügel Seufzt ihm ein sterbend Lüftchen nach.
dann kam eine Anrufung an meinen Lieblingsstern, die. Lyra, der früher von K** ebenfalls war besungen wor-den, und dann schloß das Lied mit den Zeilen:
O lehre mich den Gram besiegen, Und ihn, der dein und mein vergißt. Nun auch um den Triumph betrügen, Daß sein Verlust mir schmerzHch ist^'').
Ein anderes Lied enthielt folgende Strophen:
Jetzt, da die Nacht vom Winterhimmel sinket. Kein Stern den trüben Nebelflor durchbUnket, Eil' ich zu dir mit allen meinen Wunden,
O mein Klavier!
Du spottest nicht, kein Hohngelächter schrecket Dies arme Herz, das dir sich gern entdecket, Du lachst der Schwachheit nicht, die ich empfunden,
Drum klag' ich dir!
Hier fällt die Maske, die ich sonst getragen. Hier darf ich weinen und mein Schicksal klagen. Ach, in dem Zirkel, der mich sonst umrauschet.
Darf ich das nicht.
Dort wehrt mein Stolz dem Ausbruch heißer Zähren, Dort darf kein Ohr den leisen Seufzer hören, Dort, wo auf jeden Blick ein Spötter lauschet,
■ Lügt mein Gesicht, usw. 2**)
Die Empfindungen und Ansichten, welche aus diesen Liedern sprachen, waren tief aus meinem Innersten geschöpft. Vielleicht findet man sie weder poetisch noch romantisch, wenigstens die Heldinnen von Romanen und Theaterstücken werden gewöhnlich mit andern Gefühlen geschildert. — In mir war es nun einmal so und eine gewisse Elastizität meines Gemütes, wenn ich also sagen darf, half mir stets, besonders nachdem das Licht des Glaubens mir wieder heller zu scheinen an-gefai^gen hatte, mich aus den Fluten, der über mich ergangenen Leiden emporzuheben, sowie sie mich ab-hielt, durch weichliches Klagen fremdes Mitleid zu suchen und zu erregen. Von jeher fand ich es erbärm-lich, die Didone abbandonata zu spielen, in Liedern und Klagen der Welt zu vertrauen, daß ein Wankel-mütiger mir eine andere vorgezogen hatte, und ebenso-wenig konnte ich damals mit zwanzig Jahren, sowie jetzt mit mehr als siebzig, in die Jeremiaden so vieler meiner Schwestern, und unter diesen namentlich vieler Dich-termnen, über die Gefühllosigkeit, den Leicht- und ■Flattersinn oder die Roheit des männlichen Geschlechts einstimmen. Selbst meiner Mutter Ansichten von dem
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unbilligen Verhältnis, worin wir gegen die Männer stehen, von den Anmaßungen, die sie sich im bürger-lichen und häuslichen Leben über uns erlaubt haben sollten, von den sogenannten Rechten des Weibes fanden keinen Anklang in meiner Seele, soviel Gewalt auch in jeder andern Hinsicht ihr sehr starker Geist und ebenso starker Wille über mich ausübte. Ich konnte die Männer weder hassen noch verachten und, noch viel weniger beneiden. Ich fühlte mich überzeugt, daß der notwendige Geschlechtscharakter und die Einrichtungen in der physischen wie in der moralischen und bürgerlichen Welt uns die untergeordnete Rolle mit Recht angewiesen hatten; ich konnte es mir nicht verhehlen, daß nicht allein in Künsten und Wissen-schaften, sondern selbst in den ganz eigentümlich weib-lichen Beschäftigungen wie Kochen, Schneidern, Sticken die Männer, wenn sie sich darum annahmen, doch immer die Leistungen unsers Geschlechts weit hinter sich ließen. WiUig also räumte ihnen mein Herz diese geistigen Vorzüge ein, aber eben so bestimmt er-kannte ich auch, daß von Seite des Gefühls, des richtigen Taktes, der Herrschaft über uns, ja selbst in einer ge-wissen Art von Mut wir den Männern wo nicht voran, doch völlig gleich stehen, und daß die Vorsicht, unend-lich weise in allen ihren Veranstaltungen, auch hier sich also bewiesen und die Eigenschaften, welche dem Menschen in abstracto zukommen, auf solche Art zwischen die beiden Geschlechter verteilt hat, welche für das Wohl des Ganzen am zuträglichsten war. In dieser Ansicht nun kam mir das Los unsers Geschlechts, dem die erste mühsame Pflege und Bildung des jungen Menschen anvertraut und
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