Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Wunden, an denen mein Herz im stillen noch immer blutete, vermehrten die wehmütige Sehnsucht, welche jenen Zustand vor den Augen meines Geistes mit himmlischem Lichte verklärte.
Ich war nicht bestimmt, ein solches Glück zu ge-
nießen! Zweimal hatte sich ein trügerischer Schimmer desselben mir gezeigt, zweimal war er verschwunden; hatte sich das erstemal in die erbärmlichste Prosa auf-gelöst, war das zweitemal durch Flattersinn zerstört worden.
Je schmerzlicher ich diese Ausschließung von jener Seligkeit fühlte, die ich dem frommen Paar im heiligen Hain so tief und lebhaft nachempfand, je leichter und lebendiger entwickelte sich der Gedanke in mir, das Glück der Liebe und häusHche Freuden seien nicht das Los, welches mir die Vorsicht zugedacht und diese Ansicht setzte sich durch verschiedene, zufällig zusam-mentreffende Umstände immer fester in meinem Ge-müte. Aber auch sie benahm mir meine innere Heiter-keit nicht; denn ich hatte mich, durch reHgiöse Trost-gründe und durch Young und Seneca gestärkt, mit ruhiger Wehmut in dies Geschick ergeben, und strebte jetzt nur dahin, diese neue Ansicht mit meinen übrigen Verhältnissen und meinen Aussichten für meine kom-menden Jahre, wenn ich sie erreichen sollte, in Ein-klang zu bringen.
Jene Schilderung von Agathons und Psyches Lebens-weise in Wielands Werke; viele Stellen im Seneca, welche Mäßigkeit, Beherrschung der Leidenschaften und Begierden, Geringschätzung der rauschenden Welt-freuden lehrten und uns dadurch den Weg zur wahren geistigen Freiheit zeigten; Youngs Aussichten in jene bessere Welt, welche die Rätsel der gegenwärtigen j-
lösen sollte — Nothing this world unriddles but the next266) — endHch allerlei seltsame Ansichten, Ahnungen, Ereignisse usw., welche ich aus Erzäh- *
lungen glaubhafter Menschen und aus manchen Büchern, vorzügHch aus Moritz Magazin der Seelen-
erfahrungskunde^^') geschöpft, hatten mir Ideen von einer schon auf Erden möglichen Annäherung an die Geisterwelt gegeben. Es schien mir nicht untunlich, daß der Mensch durch große Mäßigkeit in allen sinnlichen Genüssen, durch große Stille und Ein-fachheit der Lebensweise, durch strenge Herrschaft über seine Leidenschaften und Regungen, durch steten Rückblick auf Gott, in einem nützlich, aber nicht zu sehr beschäftigten Leben, es schon auf Erden zu einer hohen Stufe der Vollkommenheit, ja vielleicht dahin bringen könnte, wenigstens auf einzelne Lichtmomente seines Lebens, seinen Geist der Herrschaft des Körpers zu entziehen und sich der Geisterwelt zu nähern oder wenigstens hellere Blicke in dieselbe werfen zu dürfen.
Diese Vorstellungen beschäftigten mich sehr. Ich sammelte mit Fleiß alles, was ich in klassischen und andern Schriftstellern damit Übereinstimmendes fand. Ich entwarf meinen künftigen Lebensplan, und nachdem ich alles reiflich erwogen und geordnet hatte, brachte ich einen Aufsatz zu Papier, den ich in Briefform an Josefinen richtete, und der ungefähr folgende An-sichten und Vorschläge enthielt. ^68)
Wir wollten beide unverheiratet bleiben, da ich eine Ehe ohne Liebe für Entheiligung hielt und dieser Leidenschaft, nach zweimaliger Täuschung, mein Herz abgestorben glaubte. Die Lage meiner Freundin ver-sprach damals auch ihr keine glänzenden Aussichten; so wollten wir denn, wenn wir unsere Pflichten gegen unsere Eltern, solange sie lebten, erfüllt haben würden, mit dem nicht beträchtlichen, aber hinreichenden Erbteil, welches ich hoffen konnte, uns eine kleine Be-sitzung auf dem Lande kaufen und dort still beisam-men leben. ^
Um aber auch andern nützlich zu werden, und das Gute, welches wir beide für das Höchste hielten, sittliche Ausbildung, nach unsern Kräften zu verbreiten, woll-ten wir einige Mädchen aus der Nachbarschaft zu uns nehmen und erziehen. Das sollte unser mäßiges Tage-werk sein; außerdem aber wollten wir so viel mög-lich abgezogen und beschaulich leben, wenig Um-gang und Verkehr mit andern Menschen haben, und selbst unsere Nahrungsweise sollte darauf hinzielen, das Irdische an uns ja nicht ohne Not zu vermehren. Wir woUten uns nämlich nur von Pflanzenspeisen nähren (ich hatte damals eben die Rede des Pythagoras in den Metamorphosen2^^) gelesen), grobe Fleischnahrung, Wein und alle Leckereien vermeiden und so dahin streben, uns schon hienieden soviel als möglich zu ver-geistigen, damit unsere Seelen, wenn der Tod sie einst abriefe, keine so schwere Hülle abzustreifen und nur lockere Bande zu
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