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Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]

Titel: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 1769-1843 Caroline Pichler , 1881-1925 Emil Karl Blümml
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Bund für das Leben und noch weiter hinaus, dessen eigentlicher Zweck gegenseitige Vervollkommnung war. Jener Ausspruch Ciceros (wenn ich nicht irre): Omnia cum amico delibera, sed prius te ipso ^^2^, schwebte mir vor. Jedes Verhehlen auch nur eines Ge-dankens oder Gefühles schien mir Verrat. Wohl sollte meine Freundin jedes kleine Begegnis, das ich erlebte, erfahren; aber das Erzählen desselben war nicht, wie ich es bei den meisten meiner Gespielinnen sah, der einzige Zweck dieses Vertrauens; denn dazu hätte ja wohl die Grube hingereicht, in welche jener geschwätzige Barbier des Königs Midas sein Geheimnis hineinrief. Nein, meine Freundin sollte mich ganz erkennen, be-urteilen, ermahnen, tadeln, mit einem Worte, bessern können, sowie ich das gleiche bei ihr zu tun bereit war. Hierzu ist nun freilich eine große Ähnlichkeit der Jahre, der Bildungs- und Lebensweise erforderlich Es gehört aber auch, um solch ein Band in seiner ganzen Würde und Schönheit aufrecht zu erhalten, dazu, daß jene Bedingungen fortdauern. Ändern sich die Beziehungen der beiden Personen zueinander merk-lich, führen Schicksale, fremde Einwirkungen die eine oder die andere einen ganz verschiedenen Lebensweg und hält sie lange auf demselben, so daß dessen Ge-wohnheiten und Einflüsse die früheren Eindrücke verwischen, so kann wohl Neigung und Achtung noch
    wie ehemals fortbestehen, aber die feineren Beziehun-gen, der innere Anklang, der der Empfindung oder dem Gedanken der verwandten Seele entgegenkommt, müs-sen sich dann verlieren.
    Etwa um diese Zeit wurden mir/ zwei Bücher zu lesen erlaubt, von denen ich früher sehr viel gehört und sie oft näher zu kennen gewünscht hatte. Doch meine Mutter hatte es für zweckmäßig gehalten, solange sie mein Herz für zu empfänglich und meinen Geist für noch nicht reif genug hielt, mir dieselben (es waren der Werther und Agathon) zu entziehen. Nun las ich sie, und sowohl meine Mutter als ich selbst mußten uns wundern, daß.der Eindruck, welchen diese Werke auf mich machten, ganz dem erwarteten oder gefürch-teten entgegengesetzt war.
    Mich ließ der Werther ^63)^ als Roman, kalt, so leb-haft mich die Schönheit der Darstellung, die psycho-logische Wahrheit der Charaktere, die tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens, die Naturschilderungen usw. anzogen. Meine Phantasie, deren Aufregung man hauptsächlich gefürchtet hatte, blieb ruhig; — dieser junge Mann (Werther) flößte mir kein Interesse ein; denn ich konnte ihn nicht achten, höchstens Mitleid mit dem verschrobenen Gemüte haben, dem es nur immer nach dem Verwehrten lüstete, weil es verwehrt war, und an dessen endhcher Verzweiflung und Selbst-mord gekränkte Eitelkeit und zurückgewiesene An-maßung in jener Gesellschaft des Präsidenten wohl ebensoviel, wo nicht größern Teil hatte, als seine un-glückliche Leidenschaft. Ich prüfte mich aufmerksam, und ich glaubte damals, wenn ich durchaus zwischen ihm und Albert hätte wählen müssen, ich mich doch eher für den letztern entschieden haben würde, der mir
    als Gefährte für ein ganzes Leben viel würdiger und passender vorkam.
    So ging beim Werther die gefürchtete Gefahr für meine unruhige Einbildungskraft schadlos vorüber, und was es immer gewesen sein mochte, das meine Mutter abhielt, mir den Agathon^^*) früher in die Hand zu geben — ob Besorgnis vor den zu lüsternen Schilde-rungen oder den philosophischen Ansichten, die das Buch enthielt — genug, auch diese Stacheln glitten ab an mir. Zwar erregten der Charakter und die Schick-sale Agathons meine lebhafteste Teilnahme, und ich fühlte viel mehr für ihn und mit ihm als für Werther; aber die Stelle, welche den tiefsten, unauslöschlichsten Eindruck auf mich machte, einen Eindruck, der lange in mir nachwirkte, war die Schilderung jener Periode in Agathons Leben, als er und Psyche im heiligen Haine zu Delphi miteinander erzogen wurden ^^^). Dies stille, gleichsam im Heiligtume der Gottheit ver-borgene Leben, das wie ein ruhiger Bach einförmig, aber klar dahinfloß, und in dessen heller Tiefe sich der Himmel und der Gott spiegelte, dem beide dies Leben gewidmet glaubten, die reinen und doch so warmen Gefühle, welche die jungen Herzen aneinanderzogen und ihnen doch nichts von ihrer Unschuld und Fröm-migkeit nahmen, rührten und bewegten mich aufs tiefste. Das war ein irdisches Paradies, in dem ich mich unendlich selig gefunden haben würde, wenn es Gott gefallen hätte, mich in ein solches zu versetzen und die

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