Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
der Schlußbeifall war noch kaum »verraucht« (Stoiber) oder jedenfalls verrauscht, und Karin zupfte leidenschaftlich an seiner Festfliege herum, die Nase schon wieder fest und unverhinderlich in irgendwelchen Akten o. dgl. hatte. Wahrscheinlich ging es da an diesem Tag und späten Abend unverdrossen um das ganz besonders unverschiebbare Problem der – weil’s so schön war, noch einmal – : »Kindernachzugsalterabsenkung«.
Oder hat er nicht doch »Nachzugsalterkinderabsenkung« gesagt?
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Flaubert machte sich irgendwo für die poetologische Instanz des mot juste stark; des lange gesuchten rechten und einzigen Worts; vor allem in seinen eigenen Romanen.
In meinem jüngsten Werk »Aus der Kümmerniß«, aber auch vorher schon bei der romanlichen Phrasen-Apotheose »Auweia« und vor allem in der Beerdigungsfeuilletons-Sammlung »Wir standen an offenen Gräbern« von 1988, besteht der halbe Reiz, mir wohl bei der Abfassung nur zu zwei Dritteln bewußt, in den verschlungen falschen Satzbauten und vor allem in den präzis gewählten falschen Wörtern; der, damit die uns auch noch übergestülpt wird, Kultur der mots non-justes, ihrer Poetik, ihrer Poesie. Ein Beispiel unter Milliarden, na sagen wir vielen Dutzenden:
»Im 84. Lebensjahr wurde die gebürtige Frau Kriegsdienst vom Herrn heimgeholt. Sie wurde im Zentralfriedhof von einem von der Fahne ›Aurikel‹ entbotenen Trauerzuge zu Grabe geschickt. Stadtpfarrer Durst rief ihr das herzliche Beileid zu. Er entbot der Schwester sehr herzliche Teilnahme und wünschte ihr einen gleich ruhigen Tod.«
Und, weil’s so ewigkeitlich duftet, noch eins; ein noch metaphysiknäheres:
»Aus Dünklingen stammte die ehemalige Hebamme Frau Fränzi Meier, die das Alter von rüstigen 80 Jahren erreichen durfte. Nun ging sie in das bessere Jenseits hinüber und hoffte dort, ihren Lohn zu empfangen. Bei gutem Wetter wurde die sehr tapfere Frau beerdigt. Der Friedhof ist ihr nun Wohnung.«
»Hoffte, dort ihren Lohn« ist zwar etwas richtiger, aber »hoffte dort, ihren Lohn« viel schöner und vielspektraler. Und auch gottnäher. Freilich, es hat das Katholische schon noch seinen versteckten theologischen Sinn. Oder, mit Alfred Leobold zu sprechen: Fehler (im ersten Fall ca. 7, im zweiten gutding 9) sind dazu da, daß sie gemacht werden.
Bernstein/Gernhardt/Waechters »Welt im Spiegel« lebt gleichfalls ein bißchen von der Umkehrung des mot juste, auch von daher ist die Allerwelts-Subsumierung »Nonsens« so unbefriedigend wie im Falle von Heino Jaeger, der die non-juste-Technik und Poesiegesinnung auch kennt. Nicht undenkbar, daß eines fernen Tages die Poesiegeschichte umgeschrieben und neu katalogisiert wird nach den Gattungsvertretern juste/non-juste.
Heino Jaeger: »Wer schwimmen will und wer sich mit der See, dem eigentlichen Wasser, vertraut machen will, muß einmal unterscheiden können (…) im Thermalbereich zwischen Saugwellen, also echten Saugern, und Kurzschlußreaktionen beim Baden. Schon einmal aus Tradition heraus, zum anderen aus Sport« (Bademeister und Schwimmlehrer Frehse).
Bei Heino Jaeger gelingt es auch einem Polizisten, daß ihm auf einer Kreuzung zwei Verkehrstote »in die Hände fallen«. Ur- und Vorbild fürs wundersam falsche Wort könnte aber sein der Kurzdialog:
Liesl Karlstadt: »Gute Nacht!«
Karl Valentin: »Ja, is schon recht!«
Und noch ein Exempel aus meinen »Offenen Gräbern«:
»Nun ging seine Hülle ein ins Reich.«
Die Hülle gerade nicht, in welches Reich auch immer, es sei denn das hier aber nicht gemeinte Erdreich. Das alte Prinzip Ist-eh-alles-eins (Hen kai pan): Wahrlich, ich sage euch, es erweist sich noch einmal als fruchtbar für die neueste romantisch-progressive Poesie.
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Wenn ich mir jetzt auch noch merken muß, daß der einst sehr geschätzte Dichter Max von Schenkendorf eigentlich Gottlob Ferdinand Maximilian Gottfried von Schenkendorf hieß und nur durch seine übermäßige Begeisterung für Schillers Max Piccolomini im »Wallenstein« zu der Namensänderung veranlaßt worden war, dann geht mir – nein, nicht der Hut hoch, aber doch dafür wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich, ein anderer wichtiger Gedanke verloren.
Der – Euklid? Die Unschärferelation? Nein, die doch nicht. Die niemals. Also dann halt in Gottesnamen der Euklid. Von a 2 plus b 2 = c 2 hab ich eh nie viel gehalten.
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Volle 54 Jahre hat es gebraucht, ehe mir die äußerst schöne, sinnige, überaus schlüssig anmutende Parallelfügung
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