Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
auffiel: Die ähnliche und doch abweichende textliche und kompositorische Gestaltung der jeweiligen Todesdementi im 2. und im 4. Akt der »Aida«. »Vive! Ah, grazie, o Numi!« jubiliert ungescheut die Titelgestalt nach der Auflösung von Amneris’ Finte, Radames sei tot, samt der Korrektur: nein, er lebe. »Vive!« hält sich eine Stunde später Radames in mittlerer Lage vornehm zurück, wie beseligt aber – um erst etwas später zu einer kleinen samtenen Kantilene anzusetzen. Ein glattes 1:1 also zwischen diesen beiden äußerst einnehmenden Personen.
Andererseits hat es in Debussys »Images« im 2. Satz (Les parfums de la nuit) eine Passage, die befremdlich, diese vorwegnehmend, an die Titelmelodie von »Der Wind hat mir ein Lied erzählt« gemahnt.
Solche starken Beobachtungen zu machen ist das unverbriefte, aber auch unverhoffte Vorrecht von uns nicht erbuntertänigen 69jährigen.
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Zu den unausgeführten, liegengebliebenen Groß- und Kleinthemen meines emsigen Autorenlebens zählt an bedauerlicher, wenn auch nicht allzu unglücklicher Stelle ein grundlegender Essay über die Eifersucht, dargestellt vornehmlich an Verdis »Otello«-Oper. Otellos »Eifersucht« wird, so weit ich sehe und höre, allzeit als unhinterfragte, vollendete Tatsache genommen; der Held als ehern tragischer Charakter eines ehedem im Grunde Edlen – nichts davon steht bei Verdi und nichts eventuell auch schon bei Shakespeare. Des eigentlich recht widerwärtigen – und darum nur eingeschränkt bemitleidenswerten – Mohren Liebe besteht, wie offenbar auch sein ganzes restliches Leben, aus nichts als aus Machtausübung, aus Aggression. Auffallend und verblüffend ähnlich hier dem scheint’s so kontroversen Jago ist es die Freude am Nichts, an der vollständigen Zerstörung von allem und jedem, inklusive Desdemona und sogar Otello selber: »O gioia!« heißt es nicht zufällig am Schluß des großen Monologs im 3. Akt; Freude übers sich abzeichnende Inferno ist es, was Otello, wie Jago im Credo, vorwärtstreibt, als sadomasochistische Aggression l’art pour l’artig bei Laune hält.
Und beim endgültigen Absturz des »Leone« zum Finale des 3. Akts in gewisser Weise die Klimax dieses Lebens erklimmt: Schlimmer kann es nun zur offensichtlichen Befriedigung des seltsamen Helden nicht mehr werden – die Vernichtung Desdemonas ein paar Stunden später ist schon mehr der sturen Pflichterfüllung in diesem Wirrwarrkopf geschuldet.
Ähnlich verhält es sich schon vom 2. Akt an mit jenem kreuzdämlichen Taschentuch, welches die Handlung initiiert, das der Vogelwildgewordene ja aber nur zum Vorwand nimmt, sich auszutoben und an seinem eigenen Toben zu weiden und –
Aber ich muß aufpassen, daß hier nicht doch noch ein richtiger Großessay herauskommt. Das möchte ich aber schon deshalb nicht, weil das feuilletonistische Gebrabbel über die Verdi-Oper und ihren funesten Mohren in aller schulfunkmäßigen Gedankenlosigkeit eh weiterschwafeln wird; in der sie offenbar in alle Ewigkeit fortwalken soll. Warum auch nicht. Ich aber werfe meine Perlen nicht gern vor die Mondkälber und höre also schleunigst auf. Und höre und lese auch sowieso nicht mehr hin.
Ob Verdi im Grunde und ggf. unbewußt in meinem Sinn komponierte, entzieht sich meiner sonst so untrüglichen Kenntnis. Jedenfalls, nachdem Eifersucht-Gelosia ja ohnedies ein höchst unklarer Fall, eine paradox widersprüchliche und auch selbsttäuscherische Passion ist wie ja seinerseits der Begriff der Eifersucht überhaupt ein überaus unklarer, ungeklärter, und deshalb – – Schluß jetzt!
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Der ehedem berühmte, dann vergessene, seit geraumer Zeit ununterbrochen wiederentdeckte Eduard Hanslick hörte bei der Uraufführung aus Bruckners Achter nur »traumverwirrten Katzenjammerstil« heraus. Bruckner selbst soll über die gleiche Sinfonie, namentlich den Adagio-Satz, gesagt haben: »Da hab ich einem Mädel zu tief in die Augen geschaut.«
Also, ich höre bei diesem Satz, einem der größten und schönsten der Musikgeschichte, tatsächlich allezeit und allenthalben nur das heraus, was einerseits etwas altmodische Konzertführer und Feuilletonisten immerzu aus Bruckner heraushörten: Natur, Weihe, Andacht, Romantik, Religiosität, »das stille Wallen der Gottheit« (Joseph Schalk).
Mit 15, spätestens mit der Gründung meines Musikzirkels im Alter von 18, glaubte ich das Wesen der Musik im wesentlichen zu verstehen. Es ist aber offenbar gar nicht zu
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