Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
»Maria Schnee«-Novelle – mir meinerseits ward damit sozusagen im letzten Moment die überaus schmeichelnde Rezension Gustav Seibts zuteil. Daß mit ihr der später vielbequakelte »Schwenk des deutschen Feuilletons« zu meinen Gunsten erfolgt sei, ist also im Sinn von Aktion bestenfalls halbwahr. Und mehr dem zufälligen Zufall zu danken. Was, die vielen Kausalitätsgläubigen und Berufsdeuter unserer Branche zu belehren, hiermit immerhin festgehalten sei.
Der vorerwähnte Reich-Ranickische »Idiot« von ca. 1986 – er war mir dann ganz recht zu hören. Denn inzwischen, seit 1987, war der noch nicht ganz aufs FAZ -Altenteil geschickte Großkritikdarsteller in Frankfurt mein Reviernachbar geworden, er hatte mich, drei Tage nach meinem Umzug, recht überraschend (woher wußte er?) brieflich zur Kontaktaufnahme aufgefordert, nämlich seinetwegen zu jeder Tages- und Nachtzeit – und dies natürlich wieder nicht ohne die übliche Ranküne. Denn hätte ich pariert, er hätte mich selbstverständlich und nicht einmal ganz zu Unrecht als jene Wanze vorgeführt, die ihn zuerst piesacke und dann aber schändlich-demütig vor ihm zu Kreuze krabbele. Über mehrere kaum mehr verhinderbare Abwicklungen und z.T. recht amüsante Nachbarschaftsberührungen war aber dann im Lauf der nächsten Monate, nein, Jahre persönliche Bekanntschaft kaum mehr zu umschiffen – wie die Katze um den heißen Brei kroch der inzwischen überwiegend im Fernsehfach tätige Papst und Großmogul um den heißen Typen, mich: mich im Zuge mehrerer kleiner Spaziergänge im Frankfurter Dichterviertel zur Räson zu zwingen und zur Renegation zu veranlassen.
Das Ganze drohte damals wirklich unentrinnbar zu einer Art skurrilen Halb-Freundschaft auszuarten und in gewisser Weise war der Strolch ja tatsächlich zu meinem Augapfel und, wenn er den falben Mund aufriß, zu meinem Ohrenschmaus geworden. Unterhaltsam, zugegeben, war er auch immer. Da war mir der verspätete Hinweis auf den schon lang zurückliegenden »Idioten« recht nützlich und genehm und verhütete schließlich Ärgeres an Aberrationen.
Beinahe eilig machte ich Nägel mit Köpfen und schrieb dem Prof. Marcel Reich-Ranicki am 17.2.96 einen (an zwei Stellen in meinen Büchern) veröffentlichten Brief, in dem ich ihn, wie erwähnt, vor der Wiederholung des »Idioten« warnte; und ihm, erkennbar humoristisch, im Weigerungsfall androhte, ich würde ihn verklagen oder wahlweise »verhauen«; und ich möchte auch keine weitere Begegnung, auch keinen Gruß mehr auf der Straße.
Natürlich war dieser Brief, wie in unseren Veröffentlicherkreisen üblich, schon als öffentlicher gemeint, für den Druck vorgesehen. So deutete ihn fraglos auch der Nachbar und Großkritiker, insofern der Nichtswürdige via seinen Verlag für einen anstehenden Geburtstagshuldigungsband zum 80. um Nachdruckserlaubnis nachsuchte. Das aber ging mir nun doch zu weit bzw. war selbstverständlich erneut tückisch geplant. Zwar hatte ich fünf Jahre vorher gleichfalls für ein Geburtstagsbuch, der unterschwelligen Bosheit des Herausgebers Peter Wapnewski zu willfahren, mein Placet für einen Nachdruck des »Herrmann Burrger«-Texts erteilt, jenen, der den Reich-Ranicki inzwischen wohl selber wurmenden »Idioten« hervorgerufen hatte. Hier aber verstand ich zwar des Jubilars flehentliche Intention, der entsetzlichen Langeweile der alljährlichen Geburtstagshuldigungen wenigstens eine einzige witzige Applikation darwiderzusetzen. Erfahrung lehrte mich indessen, daß wie so vieles in unserem eigentlich schlichten Gewerbe dieser Brief nur allzu leicht mißdeutet würde; daß ich nämlich einen alten Mann und zudem schonungsbedürftigen Juden vermöbeln wolle. Oder beinahe gewollt hätte. Und außerdem war mir danach, dem sich so erneut anbahnenden Spiel den Ernst der wirklichen und tiefgreifenden Distanz zu dem Garstigen entgegenzusetzen.
Es gab ein paar erheiternde Nachhall-Vorgänge. Der alte Herr fürchtete wohl, seiner besorgten Miene nach zu schließen, bei etlichen Straßen-Streifbegegnungen tatsächlich, von mir bzw. meinem zufälligen und sehr bodyguardmäßigen Begleiter mit blauen Flecken bedacht zu werden. Abgesehen davon aber endeten hier ultimativ die sporadischen Interessenverflechtungen zwischen ihm und mir. Er war mir, trotz vieler gemeinsamer Aversionen oder auch Vorlieben vor allem auf musikalischem Gebiet (davon verstand er tatsächlich viel und hatte Geschmack!), letztlich doch sehr fremd – und ich ihm
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