Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
mehr zweischneidigen, unpassenden, meine damaligen Kreise störenden Eindruck machte. Ganz anders als »Edi Schaffer«, der berühmte Torwart des 1. FC Nürnberg, der fernnahe (66 km), aber schwer zu fassende Hausgott.
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Am 29.10.1955 begann fast noch gleichzeitig jedoch auch im Nürnberger Opernhaus mit einer Aufführung des »Freischütz« meine Opernbesucherkarriere, die eigentliche Initialzündung geschah allerdings erst ein halbes Jahr später am gleichen Ort mit Verdis »Der Troubadour« (damals sagte und sang man noch alles deutsch) am insofern höchst folgenreichen 15.4.1956 – schon vor und während der Vorstellung und erst recht in der Nacht und in den Wochen und Monaten danach war zuerst mählich, dann immer rapider abzusehen, daß mich überhaupt nichts anderes mehr interessierte und beseelte, ich lebte sozusagen nur noch in Troubadour-Troubadour-Troubadour, kannte die Oper noch vor dem 15. Geburtstag wirklich bis ins kleinste Rezitativ in-und-auswendig, spielte den ganzen Klavierauszug auf dem Schifferklavier durch und krähte, mitten im ohnehin unpäßlichen Stimmbruch, alle Partien, auch die des Soprans, einmal sogar, im 4. Akt, sehr prekär übers hohe C hinaus, überaus hemmungslos und sicherlich grauenhaft vor mich hin, zum Leidwesen diesmal weniger der Eltern als der aber in jedem Betracht (zwei Weltkriege) abgehärteten Großeltern; vom »Seid wachsam!« bis zu Azucenas »Du bist nun gerächt, o Mutter!« – und weiß bis heute noch nicht, wie ich ein gutes Jahr später trotzdem die immerhin Mittlere Reife gemeistert habe.
Insofern war es mir sehr trostreich und erhellend und ließ mich einmal mehr an die höheren sowohl als unterirdischen Korrespondenzen allen superieuren Lebens glauben, als mein späterer Lieblingstenor Carlo Bergonzi im Gespräch auf der NZZ -Videokassette von ca. 1990 eindrücklich mitteilte, ihm, Bergonzi, sei es zur etwa gleichen Alterszeit, nur gut fünfzehn Jahre früher, nach seinem ersten heimatlichen »Trovatore« in Busseto-Parma genau so ergangen. In Ermangelung eines Helms habe er sich anderentags mit einem Nudelkochtopf auf dem Kopf vor den Spiegel gestellt und zum ersten Mal in der Manier des gehörten Lokaltenors »Di quella pira« gebrüllt – worauf die Mutter entmutigt gesagt hat: »Mein Sohn ist verrückt geworden, äh!«
Später veredelte sich unser beider Geschmack dann aber doch mehr auf die »Aida« hin. Bergonzi wurde wohl der allerbeste Radames des gesamten Säkulums.
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Jedoch auch eine beachtliche Nachdenklichkeit des Heranwachsenden ging mit den ersten Opern-Hörsensationen einher: »Freudig geb ich hin mein Leben, wird die Teure endlich mein«, singt im 2. »Troubadour«-Akt der einer gewissen Leonore all die Zeit vergeblich nachseufzende Bariton Graf Luna zum Ausklang seiner großen Arie in einer sehr feurigen B-Dur-Kantilene – und das nun dünkte mich damals doch mit meinen frühen logischen und psychologischen und schon zeitig liebeserotischen Erkenntnissen unvereinbar: daß jemand, wenn es mit der Erfüllung so weit ist, sein Leben hingibt. Tatsächlich hörte man später, als immer noch deutsch gesungen wurde, häufig die offenbar aus dem nämlichen Grund nachgebesserte Version: »Freudlos wär’ fortan mein Leben, würd’ die Teure nimmer mein!«
Aber auch das mahnte mich etwas zu gesucht, gekünstelt, nun doch allzu einseitig dem Liebeszwang hörig. So daß ich mich damals schon doch lieber auf die italienische Version einigte: »Sperda il sole d’un suo sguardo la tempesta del mio cor« – also etwa: Es nimmt die Sonne ihres Blicks das Unwetter in meinem Herzen hinweg –
– falls denn »sperda« tatsächlich so etwas wie hinwegnehmen, hinwegfegen, vertreiben heißt; wie soll ich das wissen, wenn der langjährige Tenor und Troubadour-Protagonist Leo Slezak bekanntlich nicht einmal die Handlung je ganz verstand? Da aber muß ich ihm und dem Gerücht entgegentreten: Diese Handlung ist zwar kompliziert und kurvenreich, jedoch durchaus logisch und luzid, und ich habe sie damals jedenfalls prima verstanden. Ob noch heute, will ich hier besser nicht nachprüfen.
Dagegen ist die Handlung der musikalisch durchaus edleren Verdi-Oper »Simone Boccanegra« wirklich nicht zu verstehen. Allein drei oder gar vier »Maria« in einem einzigen Werk sind nun mal zu viel.
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Deutschunterricht 1956: »Ihm schenkte des Gesanges Gabe, / Der Lieder süßen Mund Apoll« (Schiller).
Wie hätte einer, der schon zu einfältig bzw. perplex
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