Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
in mir immer einen intuitiv reservierten Verweigerer.
Etwas besser sah es schon im Hör-, im Musikbereich aus. Da war ich als Klavierspieler mit einem gebrochen falsch zusammengewachsenen Finger zwar auch nur Spätstartender; vermochte aber mit einer gewissen Zähigkeit und nicht ohne eine beträchtliche »Anschlagskultur« (J. Kaiser u.v.a.) zur Abiturzeit, und auch nachdem die Perspektive eines Musikstudiums bereinigt war, recht anständig und nur ein bißchen allzu vermessen Beethoven, Schubert, Chopin, später mit Vorliebe Schumann zu bewältigen. Und: Ich muß mit 18ff. ein begabter Hörer, Hörversteher gewesen sein. Nicht nur Chopin und vornehmlich der späte Klaviersonaten-Beethoven gingen mir ziemlich geziemend verständig ein; sondern auch anbetrachts der fünfziger Jahre noch immer Rares und Unerhörtes von Schönberg über Berg und Webern bis Krenek und Nono und leider auch K.H. Stockhausen; mein Gott, wir kommen halt alle dumm auf die Welt.
Die zur Platitüde heruntergekommene Erfahrungsweisheit aber, daß wir als Büchermenschen verdammt seien, nicht nur wie Faust von den alten Papieren des Hausvätervorrats uns zu ernähren, sondern außer Lektüre, worüber Platen jammert, schon gar nichts zu erleben: Möglicherweise war bei mir die Fatalität früh durch Harthirnigkeit einigermaßen gemildert. Fußball, Tischfußball, vorher schon extrem dynamisches Herumrennen, Räuber und Gendarm, später auch etwas Schach und Gesangsidolatrie verhinderten eventuell ein frühes Versacken im Wort- und Sinnsalat. F.K. Waechters schöne Zeichnung, auf der eine starkgebaute Mutter im Trainingsanzug ihren schwächlichschmächtigen und bebrillten Sohn ermahnen muß, doch mal lieber von den Büchern zu lassen und mit der startklaren Mutter nach draußen zu gehen, Fußball zu spielen: Dies Problem blieb meiner zartgebauten Mutter immerhin zwei Jahrzehnte lang erspart.
Dann begann auch ich zu lesen.
Vorher war es m.E. so, daß mich irgendeine unbekannte Kraft förmlich aus dem Haus allzeit in die Welt hinausscheuchte und hinausschleuderte. Ein Herumtreiberl halt war ich.
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Brecht (in den Keuner-Geschichten) hatte ganz recht: Die Schule sei, um fürs weitere Leben weidlich zu wappnen, vornehmlich dazu da, den Unmenschen rechtzeitig kennenzulernen. Ich lernte am Pennal nur einen einzigen rechten Unmenschen kennen und z.T. fürchten, den schon gestreiften und beklagenswerten geborenen Sadisten, den Mathematiker, der in der Klapsmühle mit einem gewissen Recht sein Lebensziel fand.
Ansonsten: keine Unmenschen, sondern vielfach vom Leben und/oder ihrer Generationsschicksalhaftigkeit Geschlagene oder zumindest Gezeichnete; z.T. bedauerliche, z.T. drollige, sympathiekitzelnde Personen und z.T. Persönlichkeiten – allen voran ein damals wohl erst 45jähriger, aber adornoähnlich fast haarloser Gesell namens Dr. Richard Röder aus der Würzburger Gegend, mit dem es eine durchaus eigene Bewandtnis hatte. Er war ein gelernter Chemiker, der in den damaligen Notzeiten auch Erdkunde und Biologie zu unterrichten gezwungen war, wovon er sogar noch weniger verstand als die besseren seiner weitgehend hammelhaften Schüler; woraus aber nun gerade unfehlbar der reinste Segen erwuchs:
Aus der Notigkeit des Nichtwissens eröffnete sich dem Dr. Röder nämlich die Tugend in Gestalt einer (wie ich mir erst später zusammenreimte und auf den Begriff brachte) kalliphonischen, ja onomatopoetischen Unterrichtsmethode und -modalität derart, daß der vollkommen ahnungslose und dazu wohl noch von manchen Wehleiden geplagte Lehrer so hemmungs- wie schamlos sich exklusiv auf schöne, besonders schöne Orts-, Fluß-, Länder- und Bergnamen kaprizierte und in seinem zu bewältigenden Unterrichtsstoff darauf beschränkte, meist wohlstklingende Vielsilber wie Guadalquivir, Tananarive (noch nicht: Antananarivo – diese neuere Version hätte Röder sofort begeistert aufgeschnappt), Saskatchewan, Puerto Rico, Cincinnati, Vancouver, Iquique, Yucatán, Daressalam; sodann alle Länder/Staaten Mittelamerikas, die ich in der Folge heute allesamt gleichfalls noch auswendig und klangschön daherrasseln kann, also: Mexiko, Guatemala, Costa Rica, Honduras, El Salvador, Nicaragua und Panama; dann die »Anden oder auch Kordilleren«(Röder)-Riesen, Aconcagua, Chimborazo und Illimani (oder doch Illiminani? Hätte ihm noch besser gefallen) – und endlich Röders und in der Folge auch mein Glanzstück, Dr. Röders Lieblingsberge, die mexikanischen Vulkane
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