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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckhard Henscheid
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Popocatépetl, Citlaltépetl und Iztaccíhuatl – und wer jetzt meine Novelle »Maria Schnee« (1988), Erstausgabe S. 153, aufschlägt, der wird das späte Echo von Dr. Röders Unterricht dort sofort glanzvoll widerhallen hören.
    *
    Die anteilnehmende Leidenschaft für das eigenwillige Sein und Wesen Dr. Röder führte später aber noch über dessen leidenschaftliche Anteilnahme an Djibouti, Winnipeg und Thiruvananthapuram (die Stadt hieß damals aber m.W. noch einfacher, weniger röderaffin) weit hinaus:
    Etwa zu der weiterverfolgenden, ihn, Röder, dabei zu beobachten, wie er durchaus einfallsreich bei der ferneren Meisterung seines Schul- und allgemeinen lastenden Lebens vorging; der Plage endlos ihn heimsuchender wechselnder Schülerrabauken im paradoxalen Verein mit seiner häufigen und wohl unbändigen Lust, sich vor den Augen der restlichen Schüler mit ihnen buchstäblich und spektakulär zu raufen, mit ca. 14jährigen am Boden, auf dem holzigen Fußboden und unter den Bänken wohlig sich zu wälzeln.
    Subtiler Dr. Röders Bewältigungstechnik und die sich daran anknüpfenden Beobachtungen meines diesbetrefflich höchstbegabten Schulkameraden Hermann Sittner und meist in der Folge sodann auch von mir. Nämlich des Lehrers Technik und Intention zu studieren und endlich zu durchschauen: warum er sich wohl im Chemieunterricht immer öfter und gezielter in die letzte und etwas erhöhte Bank plazierte. Um nämlich von dort, unvermindert und offenbar etwas absent über Aminosäuren und PH -Werte weiter quengelnd, so verschlagen wie schlagend ungescheut aus dem Fenster zu schauen, um so gegenüberwohnende und aus der Haustüre eilende Frauen zu sehen und seinerseits zu studieren; ohne zu erahnen, daß er wiederum dabei unsererseits bewacht und studiert wurde. Von Thomas Bernhard gibt es einen sonst reichlich mißratenen Roman, »Korrektur« heißt er wohl, in dem dies wechselseitige Studieren und Belauern einprägsam thematisiert sich findet.
    Dr. Röders später sogar nochmals verfeinerte Technik und Lebensbewältigung entging uns gleichfalls nicht. Er setzte sich jetzt immer in die letzte Schulbank, um ungestört und unverweilt seine Taschenuhr vor sich hinlegen zu können, derart bei allmählich abnehmender Unterrichtszeit das leider verhängnisvoll gemächliche Kreisen des Sekundenzeigers genauestens zu verfolgen.
    Albert Speer, der im Gefängnis ähnliche und noch größere Probleme zu bewältigen hatte, war diese Möglichkeit nicht gegeben. Ihm hatte man die Uhr wohl abgenommen, er mußte, seinen bzw. meinen Erinnerungen nach zu schließen, sich raffiniertere Techniken ausdenken, nämlich Wanderungen durch Europa und sogar Asien.
    Dr. Röder indessen war gewiß kein guter Schul-, aber ein äußerst wertvoller Lebenslehrer. Denn das Thema Lebensbewältigung wurde auch für uns damals allmählich sichtbar, ja virulent. Und es wird wohl, seitwärts dessen, auch wahr sein, was man 1980ff. aus berufenem Munde hörte und noch hört: Daß es heute nichts den Dr. Röders Vergleichbares an Schulen mehr gibt. Schade.
    *
    Den von meiner Seite aber auch nicht sehr begehrten Führerschein kriegte man damals erst mit 21, volljährig und wahlberechtigt war man ab 1975 mit 18, aber schon auf den Tag genau zum 16. Geburtstag, dem 14. September 1957, war ich mit der »Siegfried«-Premiere anläßlich der Nürnberger Spielzeiteröffnung Wagnerianer, ja Voll-Wagnerianer.
    Zwei Monate vorher hatte ich, gleichfalls im Nürnberger Opernhaus und mit dem gleichen hochachtbaren Wagner-Ensemble, erstmals die »Walküre« gesehen und vor allem gehört, ohne viel Verstand noch, allein bewegt, seltsam hochgestimmt schon durch das gänzlich Unerhörte des orchestralen Vorspielbeginns mit Sturm und Blitz und Wetter und dann mit den schon mehr vertraut eingängigen Liebesduettorgien. Jetzt, mit exakt sechzehn, stellte ich sicher bereits einen der fünfzig Kundigsten im Tausend-Zuhörer-Rund. Vor allem, was das gänzlich Unverhoffte und nur entfernt Scherzohafte des »Siegfried«-Orchesterpräludiums angeht, mit seiner sehr singulären (und, wie ich heute zu wissen glaube, von Wagner aus schierem Übermut zusammengehauenen) Verschränkung der verschiedensten sog. Leitmotive. Ich hatte sie allesamt den Sommer über gelernt, sozusagen auswendig gelernt, am Klavier notdürftig nachgespielt: aus meines Vaters ererbtem Libretto-Buch mit schwarzem Pappeinband, gedruckt in Fraktur und einer Art Runenschrift auf dem Titel; ich nehme an,

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