Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
war, das mit der Ausdehnung von Wasser und von überhaupt allem zu begreifen, diesen balladischen Satzbau (ohne Komma nach »Mund«!) samt der ebenso platten wie etwas kuriosen, ja obskuren Doppelmetapher kapieren können?
Ich nicht. Ich dachte m.W. auch gar nicht drüber nach. Sondern geruhte mich an Rhythmus und allg. Klangrausch schadlos zu halten. Hier wie in der Oper wie überhaupt. Und vielleicht schon gar zu oft.
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Nürnberg 1956/57: »Carmen« in der Oper, meine erste. Mit Sicherheit keine gute, mehr die damals übliche biedere, pseudoexotische Realisierung. Und doch wurde mir schon im Eröffnungsakt – und das spricht für Bizet wie für mich – erstmals im Leben etwas von der Brisanz, der Dunkelheit, der dämonischen Gefährlichkeit dieses Lebens als Ahnung und Artung andererseits von Kunst vernehmlich – noch vor Habanera und Seguidilla bei den frechen, leichtfertigen Straßenvolksszenen, den Urbildern plebejischer Aufmüpfigkeit.
Insofern hätte dann der alte Lebensunsicherheitsphilosoph Nietzsche mit seiner etwas dümmlichen und auch nur pro domo angezeterten Bizet-contra-Wagner-Faselei doch noch ein bißchen recht.
Sei’s drum. Blinde Hühner mußten schon damals auch leben.
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»Lektüre und ewig Lektüre! Es scheint fast, ich lebe nur, um zu lesen, oder ich lebe nicht einmal, sondern ich lese nur« (August Graf Platen, Würzburg, 31.8.1818).
Darüber konnte ich meinerseits in den ersten beiden Lebensjahrzehnten nun wirklich kaum klagen. Zumal zwischen 12 und 17 las ich wenig, sehr wenig und wenig erfolgreich. Ich verstand einfach zu wenig, was ich in den Büchern las, manchmal nichts, nicht einmal Leichtgewichte wie die »Schatzinsel« gingen gehörig bewältigt in meinen Kopf hinein; ich habe das vor einigen Jahren schon mal in einem kleinen Aufsatz (Werke Band 10, S. 63ff.) gebündelt dargestellt: einfältige, sentimentale Tiergeschichten, Kasperlbücher, Pucki und Nesthäkchen, reichlich verspätet Karl May bezeichneten meine überaus engen, kummervoll bescheidenen Grenzen.
»Wir Büchermenschen« (Jean Paul), »wir sind, was wir gelesen« (Heinrich Heine)? Dann muß ich bis fast zum Abitur fast nichts gewesen sein. Dabei war ich im Deutschaufsatz nicht mal ganz schlecht. Wenn auch, bis zum Verlassen der Schule, niemals Überragendes dabei herauskam, nicht mal Sehrgutes. Oder wenigstens danebengegangen Ambitiöses. Auch die Theater- und Konzert- und Opernkritiken, die ich mit 17 für die Lokalzeitung zu schreiben begann, waren alles andere als überdurchschnittlich genau und nachdenklich formuliert. Sondern eher schon nach Maßgabe der Münchner und Nürnberger Vorbilder bedauerlich mittelmäßig adaptiert, zuweilen schon schlecht routiniert. Mit Adorno teilte ich zwar ab 15, wie ich erst viel später erfuhr, die erste, mehr bewußtlose Passion, nach Opernabenden meine Eindrücke in »Kritiken« zu bewahren. Dies aber auch nicht annähernd auf dem Niveau des Frankfurter Wunderkinds; das wohl auch erotisch weiter, sexuell aufgeklärter war; und in seinen nie richtig veröffentlichten Ergüssen auch dem Schwärmen über vorabendlich erlebte fast schon verworfen »prachtvolle Frauen« und sonstige Aidas Raum gab. Bei mir funktionierte diese frühe Theater-Ersatzerotik nicht mal latent, karg unterschwellig. Nichts jedenfalls findet sich davon in meinen frühen erhaltenen (aber bestimmt nicht publikationswürdigen) Aufzeichnungen.
Der landläufig geläufige Mitschüler, der mit 15 oder 16 den Klassenkameraden sogenannte Gedichte im Stil von Rilke oder Trakl oder mindestens Goethe vorlegt: Es gab ihn auch bei mir. Ich verlachte ihn nicht gerade. Schüttelte aber m.W. über ihn ziemlich wortlos den Kopf. Und daß Nachwachsende unter 20 sich ja nicht an Erzählerisches machen sollten, dieses Erfahrungsverbot war mir offensichtlich allzeit Gebot. Das möglicherweise gemeinsam von Goethe und Lichtenberg ausgesprochene Diktat, ein Roman dürfe niemals von jemandem unter 30 abgesetzt werden: anders als der vorlaute Handke hielt ich mich genau daran: ich war 31,5, als die »Vollidioten« in die Welt stiefelten.
Summa summarum und schmählich genug, zumindest verwunderlich: In meinem Genre, meinem späteren Beruf war ich, als Aktiver wie Passiver, als Leser wie als Schreiber, Spätstarter – und das ist fast noch zu verbrämt gesagt. Eine mehr unterdurchschnittliche Begabung. Und die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts mit der Explosion des damaligen Buchmarkts sogenannte Leseseuche sah
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